Wir waren unsterblich (German Edition)
verabschiedeten sich mit der Ankündigung, die Krankenhäuser abzufragen. Die Tante rief ihnen hinterher, dass sie sich an die Zeitungen wenden wollte. Aber es änderte nichts daran, dass man für den verschollenen Eugen weder Hubschrauber noch eine Suchstaffel einsetzen würde. Es sah gut für uns aus, so lange die Leiche nicht auftauchte.
„Ich finde, wir sollten hier alles absuchen“, verlangte Markus. „Vielleicht hat Charlie den Kerl hier verbuddelt. Vielleicht liegt er auch noch einfach da unten rum.“
„Wir haben doch nachgesehen“, wandte Leo zaghaft ein.
„Aber nur da, wo wir ihn eingesperrt hatten.“
Natürlich! Wie konnten wir so leichtsinnig sein? Der Keller war riesig. Grundmann konnte zwei Räume weiter unter einem Regal mit Einmachgläsern liegen.
„Ich will da nicht runter.“ Töffel verschränkte die Arme. Nicht aus Protest, sondern eher um sich selbst festzuhalten. Mir wurde kotzübel, bei dem Gedanken, die von Maden zerfressenen Überreste von Grundmann im Halbdunkel des Kellers zu finden, aber wir mussten nachsehen. „Du kannst hierbleiben“, sagte ich. „Ich begleite Markus. Wer noch?“ Hilko nickte. Leo wollte sich irgendeinen farblosen Brocken in den Mund stecken – vielleicht Kandis oder Zitronat – aber er ließ ihn wieder in der Anoraktasche verschwinden. „Na gut.“
Wir waren gerade auf der Kellertreppe, als wir hinter uns Schritte hörten: Töffel beeilte sich, zu uns aufzuschließen. Hilko schaltete seine Lampe ein, öffnete die erste Tür und leuchtete in den fensterlosen Raum hinein. Er war völlig leer. In den Ecken hingen Spinnweben wie schmutzige Schleier. Ihre Erbauer blieben verborgen, nur ein Nachtfalter hatte sich in den klebrigen Fäden verfangen. Im Todeskampf klangen seine zuckenden Flügel wie der Motor eines weit entfernten Modellflugzeugs. Wir tasteten uns weiter. Hilko blieb abrupt stehen. Markus prallte gegen hin. „Was ist?“, fragte er, spähte über Hilkos Schulter und gab ein Geräusch – ein helles Quieken von sich – , dass ich nie zuvor von ihm gehört hatte. Der runde Lichtschein holte die Botschaft des Lichtlosen aus dem Dunkel.
ICH SEHE DICH!
ICH KRIEGE DICH!
JETZT?
MORGEN??
VOR DEINER ZEIT!!!
DER LICHTLOSE
Und darunter in derselben, grellroten Schrift:
ICH HABE DICH!
Leo stotterte etwas, das ich nicht verstand. Hilko schien wie erstarrt. Er hielt die Lampe auf die Botschaft gerichtet. Markus bewegte sich langsam vorwärts. Er trat in den Lichtschein und warf einen riesigen Schatten an die Wand. Seine Finger fuhren vorsichtig über den neuen Satz. „Das kann doch nicht sein“, sagte er leise.
Töffel hielt sich die Augen zu.
Fast außerhalb des Lichtscheins glitzerte er etwas am Boden. Ich streckte den Arm aus, aber meine Beine versagten mir den Dienst. Hilko richtete die Lampe darauf. Markus bückte sich und hielt etwas ins Licht, das ich zuerst für eine Münze hielt. Er reichte sie mir wortlos. Es war keine Münze, das Ding war noch nicht einmal aus Metall, sondern aus Plastik. In einem schwarzen Kreis erkannte ich silbernes Wappen. Links und rechts wuchsen ihm Flügel. Auch ohne den Schriftzug darunter, hätte ich sofort gewusst, was es war. ZÜNDAPP stand dort in Druckbuchstaben auf dem Firmenemblem. Es klebte am Tank von jedem Moped des Herstellers. Ich ließ es fallen, als hätte es sich plötzlich in eine Schlange verwandelt.
Mein erster Gedanke war, einfach wegzulaufen. Ich konnte sicher sein, dass die anderen keine Sekunde lang zögern würden, mir zu folgen. Bis auf Hilko. Er hob das Emblem auf und schubste uns den Flur entlang. „Raus hier! Kommt!“
Oben im Flur hielt er Töffel am Ärmel fest. „Was soll das?“, protestierte Töffel mit überschnappender Stimme. „Wir müssen hier weg!“
„Müssen wir nicht!“, erwiderte Hilko und damit meinte er uns alle, denn auch ich hätte mich fast aus dem Staub gemacht, ohne mich auch nur umzusehen.
„Kapiert ihr nicht?“ Hilko ließ Töffel los. Der entfernte sich zwar eilig ein paar Schritte, blieb aber dann in angespannter Haltung wie ein Sprinter vor dem Start stehen. „Wir müssen rausfinden, wer das geschrieben hat“, fuhr Hilko fort. „Wer immer es war, weiß über alles Bescheid.“
„Über was denn?“, fragte Markus. „Wir haben mit Charlies Unfall nichts zu tun.“ Er spuckte auf den Boden. „Außerdem steht da unten: Ich habe ihn! Das hört sich doch so an, als hätte der Schreiber Charlie erledigt. Zum Beweis bringt er dann noch
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