Wir wollen Freiheit
Zeitungen bemühen sich um Revolutionseindämmung und drucken Analysen mit Titeln wie: »Ägypten ist nicht Tunesien!« und »Warum Königreiche stabiler sind als Republiken.« Zugleich häufen sich die Meldungen von Selbstverbrennungen.
Es gibt natürlich Kontakte zwischen Aktivisten in Tunesien und den anderen Ländern. »Wir haben genau verfolgt, wie die Revolution in Tunesien verlaufen ist und haben auch Tipps von dort bekommen«, beschreibt Mahmoud al Hetta, der die Facebook-Seite von Mohammed ElBaradei betreut. »Von den Tunesiern haben wir zum Beispiel den Trick gelernt, dass man eine Zwiebel in sein Halstuch legen soll. Das hilft gegen Tränengas. Von ihnen haben wir auch gelernt, dass Polizisten einen Befehl brauchen, wenn sie sich umdrehen sollen und man deswegen am besten hinterm |108| Wasserwerfer steht«, sagt er. Die Revolution in Tunesien sei für die Ägypter ein wichtiger Antrieb gewesen, im Januar 2011 loszuschlagen. Als bloße Nachahmer wollen die Aktivisten von Kairo aber nicht dastehen. Schließlich haben sie ja lange darauf hingearbeitet.
Für die Aktivisten der anderen Länder spielt die erfolgreiche Revolution in Ägypten eine größere Rolle als die von Tunesien: »Bei Tunesien – das ist ja so ein kleines Land und nicht besonders einflussreich in der Region –, da hätte man noch denken können, dass es Zufall war, Glück! Als aber dann Ägypten es schaffte, da war uns klar: Jetzt geht es los«, so Talib al Ghazal, einer der Aktivisten des Aufstands von Bahrain.
Libyen
Libyen steckt sich zunächst bei Tunesien an. Schon Mitte Januar gab es erste Proteste von Jugendlichen. Sie besetzten leere Wohnungen und es kam zu Straßenschlachten, als die Polizei diese räumte. Richtig in Fahrt kommt der Aufstand in Libyen jedoch erst nach dem Sturz Mubaraks. Über Facebook wird zu einem Tag des Zorns für den 17. Februar aufgerufen. Allerdings wird am 15. Februar ein bekannter Menschenrechtsanwalt in Benghazi verhaftet und dies ist der eigentliche Anfang des Aufstands in der Stadt. In Tripolis versammeln sich am 17. Februar einige Hundert Demonstranten. »Ich hatte mich mit einigen Freunden verabredet, dass wir dem Aufruf auf Facebook folgen wollten«, erzählt Agil Missawi. Der 3 9-jährige Händler vom »Souk al Gumaa – Freitags-Bazaar« in Tripolis und seine Freunde kommen noch nicht einmal dazu, ihre Transparente zu heben: »Sie haben gleich angefangen zu schießen«, beschreibt er. Vom ersten Tag an wurde in Tripolis scharf auf die Demonstranten geschossen und mehr als 100 Menschen sterben allein in Tripolis, berichtet |109| der Aktivist. Für ihn gab es nach der ersten Demo kein Zurück mehr. »Ich musste mein Haus und meinen Laden verlassen«, erzählt er. Er geht in den nächsten Tagen nach Benghazi und schließt sich da den Rebellen an.
Geschockt verfolgen die Aktivisten aus Ägypten und den anderen arabischen Ländern, mit welcher Brutalität die libysche Regierung zurückschlägt. Die Erfahrungen von Tunesien und Ägypten haben die Menschen in den Glauben versetzt, dass die Herrscher gehen müssen, wenn das Volk auf die Straßen strömt. Muammar al Gadhafi aber denkt gar nicht daran: Er setzt Scharfschützen und Söldner gegen die Demonstranten ein und aus dem Aufstand der Jugend entwickelt sich innerhalb weniger Tage ein Krieg.
Doch die panarabischen Revolutionäre wollen Libyen nicht als mögliches Szenario für andere Länder gelten lassen: »Ich denke, die libyschen Aktivisten haben ganz entscheidende Fehler gemacht«, sagt Bakri Khalifa. Er ist Jugendsekretär der sudanesischen Einheitspartei und betreibt seit Ende Februar Revolutionsanalyse: »Wir wollen im Sudan auch eine Revolution – es ist höchste Zeit –, aber wir wollen ganz sichergehen, dass wir eine gute, zivilisierte Revolution bekommen. Eine wie in Ägypten, nicht eine wie die Libyer«, sagt er. Er sieht den Hauptfehler darin, dass die Demonstranten in Libyen nicht gut organisiert und vorbereitet waren. Wie sollten sie auch; im Land des Muammar al Gadhafi? »Der andere Fehler war, dass sie zurückgeschossen haben!« Von solchen Vorwürfen will der libysche Aktivist Agil Missawi nichts hören: »Erstens haben nicht wir zurückgeschossen. In Benghazi wurde geschossen. Die Demonstranten in Tripolis waren unbewaffnet. Aber angesichts der Gewalt des Regimes ging es auch gar nicht anders, als sich zu wehren«, sagt er.
Trotz allem sieht es in den ersten Tagen des Aufstands auch in Libyen so aus,
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