Wir wollen Freiheit
als ginge Gadhafis Zeit – immerhin regiert er seit 42 Jahren – jetzt schnell zu Ende. Viele seiner |110| Vertrauten und Generäle der Armee schlagen sich auf die Seite des Aufstands. Die Generäle bringen Waffen mit, die sie aus ihren Kasernen und Depots mitnehmen. Sie trainieren die Rebellen und führen sie in den Kampf gegen Gadhafis Truppen. Sie erobern Stadt nach Stadt. Es entsteht ein Netz von Vertretern der Opposition, die sich zu einem Übergangsrat zusammenschließen. Manche von ihnen sind namentlich bekannt. Andere nicht, denn sie sind in Städten, welche noch von Regierungstruppen kontrolliert werden.
Am 17. März beschließt der U N-Sicherheitsrat eine Flugverbotszone über Libyen. Das Mandat beinhaltet auch Luftschläge gegen Gadhafis Truppen. Es kommt keinen Tag zu früh, denn das Blatt hat sich gewendet: Die Pro-Gadhafi-Truppen befinden sich bereits in den Vororten von Benghazi. Stunden später hätten sie womöglich grausame Rache an den Aufständischen genommen. Die NATO-geführte Militärintervention wird von den Aktivisten in der Arabischen Welt weitgehend kritisch gesehen. Zu sehr erinnert sie an den Krieg im Irak 2003. Der Übergangsrat von Benghazi wird kritisiert: Wieso haben sie um internationale Hilfe gerufen, wo sie doch wissen, was es bedeutet, wenn man westliche Truppen ins Land lässt?
Der von NAT O-Fliegern unterstützte Kampf der Rebellen gegen Gadhafis Truppen zieht sich. Militärisch scheint er kaum gewinnbar. Für keine der Seiten. Oberst Gadhafi hält zäh an seiner Macht fest. Was bleibt ihm auch sonst übrig? Im Inland kann er nicht bleiben, das will der Nationale Übergangsrat nicht akzeptieren, und er kann auch nicht ins Ausland, denn am 27. Juni verhängt der Internationale Gerichtshof einen Haftbefehl gegen ihn. Ihm bliebe also nur die Ausreise in ein Land, das nicht Mitglied beim ICC ist und ihn aufnehmen würde. Diplomaten bemühen sich, einen Ausweg zu finden. Wird er nicht gefunden, wird Gadhafi sich weiter in seiner Festung Bab al Azaziya verschanzen.
|111| Es ist in diesem Frühling nicht nur das Revolutions-Virus, das von Land zu Land springt und die Jugendlichen ansteckt. Auch die Herrscher inspirieren sich gegenseitig: Gadhafis brutale Unterdrückung setzt neue Maßstäbe und andere folgen seinem Beispiel.
Bahrain
#14Fev ist das Twitter-Kürzel für die Revolte von Bahrain. Auch in dem kleinen Königreich im Arabischen Golf hatte es schon im vergangenen Jahr mehrere Proteste gegeben. Es gibt eine kleine, aber aktive Szene. »Wir haben in Ägypten genau analysiert, worauf es ankommt«, beschreibt Talib Al Ghazal. »Man braucht ein gutes Datum, zu dem man aufruft. Wir haben den 14. Februar gewählt. Das war der 10. Jahrestag der Verfassungsreform. Damals hat uns der König mehr Freiheit und Demokratie versprochen. Der zehnte Jahrestag erinnert die Menschen daran, dass er sein Versprechen nicht gehalten hat. Dann braucht man einen Ort. Leider gibt es in Manama keine öffentlichen Plätze wie den Tahrir-Platz. Wir haben dann die Verkehrsinsel mit dem gigantischen Perlendenkmal ausgewählt. Das macht ja auch in den Medien etwas her«, beschreibt er. Es sei dann wichtig, schnell viele Menschen zu mobilisieren. »Uns war von Anfang an wichtig, dass dies kein Aufstand der Schiiten gegen die Sunniten ist«, erklärt Talib Al Ghazal. »Es ist ein Aufstand des Volkes gegen eine ungerechte Regierung. Die Ungerechtigkeit zeigt sich unter anderem darin, dass die schiitische Bevölkerungsmehrheit diskriminiert wird«, sagt er und betont, dass sich auch viele Sunniten beteiligen.
Am 14. Februar demonstrieren einige Hundert in Manama. Sie ziehen zum Perlenplatz. Die Polizei geht mit Tränengas und Schlagstöcken gegen sie vor. Ein junger Mann stirbt. |112| So gibt es am nächsten Tag eine Beerdigung und aus der Beerdigung wird die nächste Demonstration. Am Abend bauen die Jugendlichen ihre Zelte unterm Perlendenkmal auf. Am 17. Februar nachts um drei räumt die Polizei den Platz. Am nächsten Tag wird wieder beerdigt und demonstriert und die Zelte am Perlenplatz werden wieder aufgebaut.
Am Tahrir-Platz in Kairo war es Humor, der dem Protest eine besondere Note gab. Am Perlenplatz von Manama ist es die Gemütlichkeit: Neben den Zelten sind Teppiche ausgerollt. Es gibt Sofas, gemütliche Sitzecken, Wasserpfeifen. Zweimal am Tag wird für alle gekocht, in Feldküchen, die reiche Geschäftsleute spendiert haben. Berge von Fischen und säckeweise Reis
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