Wir wollen Freiheit
Die
Bruderschaft
versteht sich als All-inclusive-Organisation: Glaube, Erziehung, Sport und Politik für die
Brüder
und ihre Familien. Sie ist zudem ein Sammelbecken: Vom mystischen
Sufi
bis zum schriftgläubigen
Salafi
sind alle dabei. Es gibt Unternehmer ebenso wie Arbeiter. In den Anfangsjahren ist die Befreiung Ägyptens aus dem Einfluss der britischen Kolonialmacht das wichtigste politische Ziel. Es entsteht ein Geheimapparat. Es werden Jugendliche militärisch ausgebildet und die Führung der
Bruderschaft
unterstützt die
Freien Offiziere
. Kurz nachdem diese unter der Führung von Gamal Abdel Nassar 1952 an die Macht gelangen, kommt es allerdings zu einem Bruch. Nach einem Attentatsversuch auf Nasser wird die Organisation verboten und die Verfolgung der
Muslimbrüder
beginnt. Einer der Inhaftierten, Said Qutb, schreibt im Gefängnis ein Buch, das die arabische Welt verändert, wie kaum ein anderes: »Wegzeichen« ist der Aufruf zum bewaffneten Kampf im Namen des Islam. Eine Vorhut aufrechter Gläubiger solle zu den Waffen greifen, die ungläubigen Herrscher vertreiben und so einem Staat den Weg bahnen, in welchem die Scharia umgesetzt werde.
|144| Es ist in dieser Zeit viel vom islamischen Staat die Rede. Dieser soll nach dem Vorbild der muslimischen Gemeinde von Medina zur Zeit der ersten vier Kalifen regiert werden. Ob ein solcher Staat im Diesseits überhaupt zu verwirklichen oder eine politische und religiöse Utopie ist, darüber gehen die Meinungen auseinander. Auch wird gestritten, wie er zu erreichen ist: durch Waffengewalt à la Said Qutb oder durch Gesellschaftsveränderung, so wie es Hassan al Banna gepredigt hat. Die islamische Bewegung spaltet sich an der Frage der Gewalt. Die
Muslimbruderschaft
lehnt sie im Inland ab.
1970 kommt Präsident Anwar al Sadat an die Macht und entwickelt eine neue Strategie im Umgang mit der islamischen Bewegung – er päppelt sie. Nach dem Motto: »Die Feinde meiner Feinde sind meine Freunde« gibt er ihnen mehr Freiraum. So will er den immer stärker werdenden linken Studentenbewegungen den Garaus machen. Er führt Artikel 2 der Verfassung ein, der den Islam zur Staatsreligion Ägyptens und nach der Verfassungsänderung 1980 die Scharia zur Hauptquelle der Rechtsprechung bestimmt. Allerdings geht die Rechnung nicht auf: Ende der 70er Jahre gründet der ehemalige
Muslimbruder
Eiman al Sawahiri die bewaffnete Organisation
Al Dschihad
. Parallel dazu organisieren sich an den ägyptischen Universitäten die Studenten in religiösen Clubs, den »Gamaat al Islamia – islamischen Gruppen«. Als die
Gamaat al
Islamia
-Generation mit dem Studium fertig ist, gehen viele von ihnen auf der Suche nach Arbeit nach Saudi Arabien. Manche brechen nach Afghanistan auf, um mit den Mudschaheddin gegen die Rote Armee zu kämpfen. Ein Teil der in Ägypten Zurückbleibenden beginnt den Kampf gegen die ägyptische Regierung. Nachdem Anwar al Sadat 1979 den Frieden mit Israel geschlossen hat, wird er zum Feind Gottes erklärt. 1981 fällt er einem Attentat – ausgeführt von einer Gruppe des
Dschihad
– zum Opfer.
|145| Es folgt eine Verhaftungswelle. Doch der neue Präsident Hosni Mubarak lässt viele
Muslimbrüder
recht schnell wieder frei. Er findet einen neuen Umgang: Sie bekommen ein bisschen Spielraum, dürfen Sozialeinrichtungen betreiben und sich später auch als Unabhängige an Wahlen beteiligen. Zugleich bleibt die Organisation verboten und die Führer werden regelmäßig verhaftet, um sie an ihre Grenzen zu erinnern. Die
Muslimbrüder
nutzen den gewährten Spielraum und setzen auf die Veränderung der Gesellschaft von innen. Ägypten wird immer frommer. Dies ist ihr Verdienst, aber nicht nur: Nicht nur die
Gamaat al Islamia -Leute
gehen nach Saudi Arabien, viele Millionen Ägypter reisen als Gastarbeiter an den Golf. Wenn sie zurückkommen, bringen sie nicht nur Erspartes mit, sondern auch den
wahabitischen
Lifestyle. Für Frauen werden schwarze Gewänder mit passenden Kopftüchern schick. Die Regierung unterstützt diesen Trend. Präsident Mubarak stellt sich zwar als westlich orientierter Herrscher dar, betont jedoch den Ägyptern gegenüber seine Gläubigkeit und nicht selten wird der Islam als Rechtfertigung für die Regierungspolitik herangezogen. Zudem verliert das Amt des Scheich al Azhar immer mehr an Unabhängigkeit und von einer Trennung zwischen Religion und Politik kann nicht die Rede sein. Der Scheich al Azhar versteht sich als eine der führenden
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