Wir wollen Freiheit
schlagen. Viele Jugendliche werden neugierig. In westlichen Medien heißt es, dass der Terror etwas mit dem Islam zu tun habe. Sie schauen im Koran nach, lesen sich fest und viele beschreiben diese Auseinandersetzung mit ihrer Religion als Anfang ihrer stärkeren Hinwendung zu Gott. Für viele ist der Anfang auch eine Reaktion auf die Haltung des Westens: »Ihr seht uns als anders. Wir sind auch anders und das ist gut so!«, sagte mir einmal eine ägyptische Studentin in Berlin und erklärte so, weshalb sie sich für das Kopftuch entschieden habe. Das folgende Jahrzehnt ist geprägt von immer neuen Krisen zwischen der Islamischen Welt und dem Westen. Der Konflikt um die Veröffentlichung von Karikaturen des Propheten Mohammed 2006, der Ärger über eine Rede von Papst Benedikt XVI. und der Mord an der Ägypterin Marwa al Sherbini 2009 in Dresden führen jeweils zu Protesten in der islamischen Welt, bei denen es zu radikalen Auswüchsen kommt, was wiederum den Westen darin bestätigt, dass der Islam gewalttätig ist. Bei genauerer Analyse dieser Krisen wird deutlich, dass sie gesteuert und geschürt wurden: von populistischen Politikern auf beiden Seiten des Grabens, die vom Hochkochen der Emotionen profitieren wollten.
In der Literatur spricht man von einer neuen »Sahwa al Islamia – einem islamischen Erwachen« und in den Medien geht es nach dem 11. September immer wieder um die sogenannten »Reborn Muslims – die wiedergeborenen Muslime«. Von einer kleinen Minderheit dieser neuen Frommen hören wir ständig: Sie sehen im Koran eine Aufforderung zum Bau von Kofferbomben, Anschlägen auf U-Bahnen und Weihnachtsmärkte. Die große Mehrheit der neuen Frommen hingegen |149| sieht ihre Religion als Anleitung zu einem besseren Leben. Sie ärgern sich darüber, dass eine kleine Minderheit ihrer Glaubensgeschwister das Bild des Islam als gewalttätiger Religion prägt. Wobei sie allerdings nicht nur den
Dschihadisten
die Schuld dafür geben, sondern auch den westlichen Medien. Die übertriebene Berichterstattung über diese kleine Minderheit sei die Ursache für Islamophobie und Fremdenhass im Westen.
Viele Muslime lehnen es ab, mit Labeln versehen zu werden. Wer will das schon? Allerdings macht es an dieser Stelle Sinn, die verschiedenen Gruppen der neuen Frommen zu benennen und damit deutlich zu machen, dass es unter ihnen große Unterschiede gibt. Wer labelt, vereinfacht auch und natürlich wird hier nur eine sehr holzschnittartige Definition der Gruppen gegeben. Die Wirklichkeit hat vielmehr Schattierungen und oft sind die Grenzen fließend.
Wie bereits erwähnt, sind es die
Dschihadisten –
die selbsternannten Gotteskämpfer –, die seit 2001 in der Öffentlichkeit die meiste Beachtung gefunden und die das Bild vom Islam stark geprägt haben. Über sie gibt es viel Literatur und um sie soll es hier daher nur am Rande gehen. Sie spielen eine Rolle, weil sich die anderen Gruppen auf sie beziehen. So halten in den ersten Jahren des US-geführten Kampfes gegen den Terror viele Jugendliche in der Arabischen Welt die Anschläge auf westliche Ziele für eine gerechtfertigte Reaktion auf die arrogante Nahost-Politik der USA. Je heftiger die Konfrontation zwischen dem Westen und der Islamischen Welt, desto größer die Sympathien für Usama Bin Laden und Co. Er spricht in seinen Video- und Audio-Ansprachen die brennenden Fragen der Zeit an: den Konflikt in Palästina, die als ungerecht empfundene U S-Politik und die Unfähigkeit der arabischen Diktatoren, die Interessen ihrer Bevölkerungen zu vertreten. Der Mut der Kämpfer und die Siegesgewissheit, mit der ihr Führer sich der riesigen militärischen |150| Übermacht der USA entgegenstellt, kommt an. Auch bei Menschen, welche die Gewalt eigentlich ablehnen.
Ab 2005 bekommt die Popularitätskurve allerdings einen Knick: Die Gewalt der
Al Kaida
im Irak geht vielen zu weit. Auch der Anschlag auf die U-Bahn von London im Juli 2005 wird nicht mit ebensolcher Begeisterung im Internet gefeiert wie noch die Angriffe auf New York und Washington. Nach und nach schwinden die Sympathien unter den Jugendlichen.
Im Sommer 2008 sorgt eine Artikelserie in der in London erscheinenden »Al Scharq al Awsat – der Nahe Osten« für Aufregung in militanten Kreisen. Doktor Fadl alias Sayyad Imam al Sharif erklärt darin seine Abkehr vom Dschihad: Anschläge auf Zivilisten seien mit dem Islam nicht vereinbar und zudem strategisch falsch. Doktor Fadl ist nicht irgendwer; er hat
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