Wir wollen Freiheit
Sendelizenzen in Ägypten; Programme der
Muslimbruderschaft
hingegen nicht.
Salafistische
Prediger danken es der Regierung, indem sie sich auf Fragen der korrekten Glaubenspraxis konzentrieren und ihre Anhänger ermuntern, sich aus der Politik fernzuhalten. Demokratie sei sowieso unislamisch. Nicht dem Volk, Gott allein stehe Macht zu. Ahmed |153| Youssef, Generalsekretär der Gruppe »Ahl Al Sunnah al Mohamadia – Menschen der Überlieferung Mohammeds« verkündet sogar Mitte Januar 2011, dass Demonstrationen gegen die Regierung den Geboten des Islam widersprächen. Den Tunesier Mohammed Bouazizi, der sich in Zidi Bouzid selbstverbrannte, erklärte er zum Ungläubigen: »Er ist ein Ketzer und kommt nach seinem Tod in die Hölle.« Allerdings gibt es auch andere Stimmen: Die »Schule von Alexandria«, die größte
salafistische
Gemeinschaft in Ägypten, die seit den 80er Jahren Bildungszentren und Predigerschulen aufgebaut hat, steht der ägyptischen Regierung kritischer gegenüber. Nach der Revolution drängen die
Salafisten
stärker in die Öffentlichkeit und in die Politik. Doch dazu später.
Hier soll es nun zunächst um die größte und besonders bei der Mittel- und Oberschicht einflussreichste Gruppe der neuen Frommen gehen: Die
Pop-Muslime
. In der arabischen Literatur nennt man sie die Bewegung der neuen Prediger.
Es war an einem Donnerstagabend im Herbst 2000. In einer Moschee in einer Satellitenstadt von Kairo versammeln sich mehrere Tausend Jugendliche. Von dort, wo ich saß, konnte man den Redner Amr Khaled nicht sehen, sondern nur seine schöne, warme Stimme hören, die sich an die Jugendlichen wandte und sie vor den Gefahren der Sommerferien warnte. Amr Khaled sagte, sie sollten sich auf den Sommer freuen, sie sollten Spaß haben, aber bedenken, dass der Teufel immer auf der Lauer liege und nur darauf warte, dass sich die Jugendlichen in Versuchung führen ließen. Er forderte die Jugendlichen auf, zu beten, sich religiös fortzubilden und vorsichtig mit dem anderen Geschlecht umzugehen. Im Publikum saßen Schüler privater Schulen, Studenten, junge Berufstätige. Sie waren Kinder der Mittel- und Oberschicht. Es waren also diejenigen Jugendlichen, von denen man im Westen lange vermutete, dass es nur noch eine Frage der Zeit sei, bis sie so würden wie »wir«. Doch statt für |154| unsere Idee der Freiheit entschieden sich diese Jugendlichen für den Islam.
Amr Khaled, ein gelernter Buchhalter und extrem redebegabter religiöser Autodidakt, trat Mitte der 90er Jahre zunächst in Moscheen und Jugendclubs auf. Schnell wurden die Räume zu klein, denn seine Botschaft kam an. Bald wurde er auch vom Satellitenfernsehen entdeckt. Er predigt einen Islam, der sich gut mit dem Leben eines ehrgeizigen jungen Menschen in einer modernen Gesellschaft vereinbaren lässt. Die Jugendlichen greifen Elemente der westlichen oder besser gesagt globalisierten Jugendkultur auf, versehen diese mit einem islamischen Vorzeichen und – schwupp – entsteht etwas Neues. Aus Madonna wird Sami Yusuf, aus Eminem Ammar 114. Am plakativsten ist diese Aneignung in der Mode, wo sich eine hippe Kopftuchmode entwickelt hat.
In den ersten Jahren geht es um die »Dawa – religiöse Aufforderung«: In Amr Khaleds T V-Show erzählen Schauspielerinnen und T V-Moderatorinnen , weshalb sie für ihr Kopftuch gerne auf die Karriere verzichten. Er löst auf diese Art eine neue Welle der Verschleierung aus. Es geht um innere Werte, aber auch um äußere: Bisher war es schwierig, sich zu verschleiern und zugleich modisch in der gehobenen Schicht zu verorten. Das ändert sich. Zahlreiche Boutiquen mit islamisch korrekter Mode eröffnen in den besseren Wohngegenden. »Suzanna« beispielsweise bietet lässige Modelle, knallbunt und extravagant. »Als Studentinnen an der Amerikanischen Universität trugen meine Freundinnen und ich in den 90er Jahren noch dunkle Mäntel und diese großen Kopftücher. Ich habe dann angefangen, Farben einzuführen und daraus entstand dann meine erste Kollektion«, beschreibt Firmengründerin Suzanna Kamel. Natürlich habe es von Anfang an Kritik von den Konservativen gegeben, denen die Neuerungen zu weit gingen, aber der Erfolg gibt ihr Recht. 2011 hat sie neun Filialen und 200 Mitarbeiter.
|155| Ab 2003 / 04 geht Amr Khaled in die nächste Phase: Er predigt eine Art Mitmach-Islam. Statt darüber zu klagen, dass die Regierung nichts für sie tue, sollen sich die Jugendlichen selber darum kümmern,
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