Wir wollen Freiheit
nicht mehr so viel über ihn. »Ach, der Kulturkonflikt, das ist doch schon ein paar Jahre her!«, sagt Huwaida Dahab. Dabei sitzt sie sozusagen an einer Quelle: Sie unterrichtet Arabisch für Ausländer an einer sehr religiösen Sprachschule in Kairo. In ihren Lehrbüchern, made in Saudi Arabien, geht es vor allem um die Gefahren der westlichen Kulturdominanz. »Natürlich müssen wir weiter unsere Kultur |160| schützen und bewahren«, sagt sie, aber sie empfinde die Feindschaft des Westens gegenüber dem Islam nicht mehr als ein so dringliches Thema. »Vielleicht haben wir uns auch einfach an den Zustand gewöhnt«, räumt sie ein. So ist die Islamophobie des Westens weiterhin ein beliebtes Talkshow-Thema, aber wer kann sich schon ständig empören? Minarettverbot in der Schweiz, der Streit um das Kulturzentrum in Manhattan und der Burka-Bann in Frankreich. Viele – so scheint es – haben sich ihre Meinung über den Westen gebildet und erwarten nichts Gutes mehr aus dieser Richtung. So wenden sie sich wichtigeren Themen zu. Auch dies ist ein Faktor, der zum Abebben der Neuen Frömmigkeit beiträgt.
Die Regierung nutzt die Religion, um ihre Politik zu legitimieren. Religiosität und islamische Frömmigkeit bekommen in den letzten Jahren der Regierung Mubarak einen faden Beigeschmack. Äußerlichkeiten stehen im Vordergrund – je frommer desto besser –, die Werte der Religion bleiben dabei jedoch auf der Strecke. Es fehlt das Ziel.
Krise des Politischen Islam
Auch um die
Muslimbruderschaft
ist es nicht gut bestellt. Der Versuch, sich in das politische System der Regierung Mubarak zu integrieren und so schrittweise von innen heraus das Land zu verändern, ist gescheitert. »Leider hat unsere Arbeit im Parlament nicht sehr viele sichtbare Resultate gebracht«, sagt Ali Laban. Der Graubart Ende fünfzig ist der
Muslimbruder
mit der längsten Parlamentserfahrung. Ihm gelang 1995 als einzigem Bruder der Sprung ins Parlament. Ab 2000 waren es immerhin 17 und ab 2005 stellte die
Bruderschaft
88 Abgeordnete. Er habe seine Aufgabe als Opposition darin gesehen, immer wieder heikle Themen ins Gespräch zu bringen: |161| Freiheitsrechte und Demokratie, sowie mehr politischen Spielraum für Nichtregierungsorganisationen seien seine Themen. »Wir haben viele Vorschläge eingebracht, aber sie wurden von der Parlamentsmehrheit natürlich ignoriert. Allen war klar, dass die Regierung bei freien Wahlen keinen Tag länger regieren würde und dass es deshalb niemals freie Wahlen geben wird«, sagt er. Er habe zudem seine Aufgabe darin gesehen, die Lebensbedingungen der Menschen in seinem Wahlkreis zu verbessern. Viele Abgeordnete sehen sowieso ihre Hauptaufgabe darin, staatliche Gelder für ihre Bezirke aufzutreiben. Dabei lässt sich einiges abzweigen und darum ist der Parlamentssitz so begehrt. In der Industriestadt Helwan sind die Menschen besonders von den Umstrukturierungen in der Wirtschaft und Umweltverschmutzung betroffen: »Es wurden Schulen und Krankenhäuser für die Menschen gebaut. Darauf bin ich stolz. Wir
Muslimbrüder
haben den Ruf bei den Menschen, nicht korrupt zu sein und Gelder nicht zu veruntreuen. Deswegen vertrauen sie uns.«
Die
Muslimbruderschaft
hat im Parlament nicht lockergelassen und immer wieder Gesetzesinitiativen eingebracht. Sicherlich ist dies an sich ein Verdienst. Das Parlament ist der einzig legale Weg für sie, an die Öffentlichkeit zu treten. Zugleich ist die
Muslimbruderschaft
aber auch eine Art Feigenblatt des Systems Mubarak. Mit den
Brüdern
im Parlament, wer wird da in Frage stellen, dass Mubarak es ernst meint mit der Demokratie? Trotz allem wollen die
Brüder
nicht aufgeben. Sie treten auch 2010 wieder zu den Wahlen an und scheitern kläglich. Auch ihr Protest gegen den Wahlbetrug hat nur mäßigen Erfolg. Die Kritik des Westens an Ägypten hält sich im Rahmen der Höflichkeit. Die
Bruderschaft
gilt in den meisten westlichen Ländern als verdächtige Organisation. In Deutschland wird sie vom Verfassungsschutz beobachtet. Die Regierung Mubarak nimmt den
Brüdern
die Kampagne |162| trotzdem übel und ab Mitte Dezember kommt es zu einer Verhaftungswelle.
Intern brodelt es in der
Bruderschaft.
Die Jungen sind wie beschrieben auf dem Weg zu neuen Aktionsformen und drängen die alte Garde, endlich aktiv zu werden. Die Führung winkt ab und zahlreiche Jugendliche suchen anderswo Anschluss.
Dann kommt die Silvesternacht und der Anschlag auf die Kirche in Alexandria. In der Folge
Weitere Kostenlose Bücher