Wir wollen Freiheit
Accessoires aus ebenfalls ägyptischer Produktion. Viele Schmuck-Designer haben in diesem Frühjahr das ineinandergeschlungene Kreuz mit dem Halbmond oder »Ich liebe Ägypten«-Kaligrafien herausgebracht. Der »Islam al Schakli – Islam der Äußerlichkeit« ist also nicht etwa ganz zu Ende, aber er hat eine neue Botschaft: »Wir sind ein Ägypten!«
Auch Ahmed Abu Haiba, den Erfinder des Islamotainment, bringt die Revolution auf neue Ideen. Dass er über Facebook zur Revolution mit aufgerufen hatte, besiegelte den Bruch mit den saudischen Geldgebern endgültig. Auf dem Tahrir-Platz trifft er auf einen anderen, der auch kurz zuvor seinen Job losgeworden ist: Ibrahim Eissa. Der linke Journalist ist der Vater des neuen unabhängigen Journalismus. Er gründete 1995 die Zeitung »Al Doustur – die Verfassung«. |165| Sie wurde mehrfach verboten. Ibrahim Eissa wurde 2008 zu drei Monaten Haft mit schwerer Arbeit verurteilt. Er hatte in einem Artikel geschrieben, dass bei über Achtzigjährigen manchmal die Gesundheit nachlässt. Präsident Mubarak nahm das persönlich. Kurz vor den Wahlen 2010 dann wird »Al Doustur« von einem Geschäftsmann gekauft. Nach außen sieht dies unspektakulär aus, denn der Geschäftsmann gehört zur oppositionellen
Wafd
-Partei. Allerdings handelt es sich bei der
Wafd
-Partei um eine sehr regierungstreue Opposition und so ist es nur eine Frage des Vorwandes, bis Ibrahim Eissa als Chefredakteur abgesetzt wird. Mit einem Teil der Redaktion macht er weiter, online. Die Seite Doustur.org wird eine wichtige Informationsquelle in den Monaten vor der Revolution. Ibrahim Eissa und Ahmed Abu Haiba entwickeln auf dem Tahrir-Platz gemeinsam eine Idee: Sie wollen einen Fernsehsender gründen. Wie er heißen soll? Natürlich Tahrir-TV.
»Natürlich gibt es Menschen, die sich wundern, dass Ibrahim Eissa und ich zusammenarbeiten, aber eigentlich sind wir nicht so weit auseinander: Ibrahim ist am konservativen Rand des linken Spektrums und ich bin am linken Rand des islamischen Lagers«, beschreibt er. »Der Sender ist die logische Fortsetzung meiner bisherigen Tätigkeit. Es ging mir immer darum, die Menschen zu ermuntern, sich zu engagieren und bessere Menschen zu werden.« Bisher tat er dies unter islamischen Vorzeichen, jetzt im Namen der Vaterlandsliebe.
Am 10. Februar, am Tag, bevor Mubarak zurücktritt, geht Tahrir-TV auf Sendung. Zunächst Low-Budget mit vielen Videos von YouTube. Anfang Mai startet der Sender dann mit seinen Talkshows. Außer Ibrahim Eissa gehört auch die bekannte Psychologin Hebba al Qutb zu den Gesichtern des Senders: In ihrer Late-Night-Show geht es um die Auswirkungen der Revolution auf Familien, Beziehungen und Sex.
|166| »Das mit dem Label Islamische Medien ist ja so eine Sache. Wenn ich mit Leuten aus dem Westen spreche, dann bezeichne ich damit einen Sender, der sich an die Gebote hält: keine Nacktszenen, respektvolle Sprache und so. Hier in Ägypten werden die Gebote ja inzwischen sowieso weitgehend eingehalten. Ibrahim Eissa vermittelt im Prinzip die gleichen Werte wie so mancher Scheich. Es macht da dann nicht so viel Sinn, das eine islamisch zu nennen und das andere nicht«, sagt sie. Der Trend geht dahin, so selbstverständlich religiös zu sein, dass man nicht mehr darüber zu sprechen braucht.
Noch deutlicher wird dies bei Amr Khaled. Er war in der Zeit direkt vor der Revolution am Tiefpunkt seiner Karriere angekommen. Er hatte kurz zuvor wieder in Ägypten auftreten dürfen und gab sich dann im Wahlkampf 2010 für eine Veranstaltung eines Regierungskandidaten her. Das kostete ihm viele Anhänger. Mit aufgeregter Stimme wendete er sich am
Freitag der Wut
am 28. Januar mit einem Video an seine Anhänger. Er forderte sie auf auszuschwärmen, um die Bürgerwehren zu unterstützen. Nachträglich kann man das als Parteinahme für die Revolution interpretieren, aber in der Situation wurde es anders verstanden. Sein ehemaliger Produzent Ahmed Abu Haiba gibt ihm daher direkt nach dem Sturz Mubaraks keine Zukunft. Der Grund sei vor allem, dass Gelehrte wie Scheich Youssef al Qaradawi wieder auftreten dürfen, der ja am Freitag nach Mubaraks Rücktritt das Gebet auf dem Tahrir-Platz leitete. »Wir haben doch die neuen Prediger damals aufgebaut, weil die echten Gelehrten nicht auftreten durften. Jetzt sind die Originale zurück, wozu soll man dann noch Amr Khaled zuhören«, sagt Ahmed Abu Haiba.
Doch Amr Khaled hat ganz offensichtlich nicht vor, sich
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