Wir wollen Freiheit
ausrangieren zu lassen. Er findet eine neue Rolle: Er wird Moderator. »Bukra Ahla – Morgen wird schöner!« heißt sein neues Projekt. Er trifft damit genau den Puls der Zeit. Auf |167| typische Amr-Khaled-Art redet er eindringlich und unterhaltsam auf seine Zuschauer ein, dass sie bessere Menschen werden und sich für ihr Land engagieren sollen. Der Unterschied zu vorher: Das Wort Islam kommt kaum noch vor. Wie schon früher trifft er genau den Nerv und bietet etwas, was dringend gebraucht wird: Optimismus. Amr Khaled versichert den Zuschauern immer wieder, dass ihr Land zwar einige Probleme habe, aber auf dem rechten Weg gebracht werden könne, wenn nur alle mit anpackten und zusammenhielten. Er will dem Pessimismus und der Zukunftsangst vieler Ägypter etwas entgegensetzen.
»Wir müssen unser Land aufbauen. Und ihr werdet sehen: Morgen wird schöner sein – ich weiß es genau! Und wir werden dabei auch wachsen und besser werden. Wir müssen nur zusammenstehen und anfangen«, sagt er in der ersten Folge der neuen Sendung. Sie wird – und das ist eine Sensation – vom Staatsfernsehen ausgestrahlt. Das bedeutet auch, dass er viel mehr Zuschauer erreicht und andere. Wenn er bisher der Prediger der Mittelschicht war, wendet er sich jetzt verstärkt auch an die Ärmeren. Sie orientierten sich bisher eher an
salafistischen
Predigern, jetzt nimmt Amr Khaled sie an die Hand und leitet sie in moderatere Bahnen.
Er übernimmt die Rolle des Moderators: Er geht dahin, wo Kirchen brennen und appelliert an die Muslime: Weder mit dem Islam und schon gar nicht – und diesen Punkt stellt er in den Vordergrund – mit ihrer Verantwortung als Bürger Ägyptens ist der Hass auf die Christen zu rechtfertigen. Amr Khaled sieht sich als Moderator nicht nur im TV: Er schlägt die Brücke zwischen der gebildeten Mittelschicht, die ihm früher zuhörte, und seinen neuen Fans in den ärmeren Vierteln. Er bringt aber auch politisch verschiedene Lager zusammen. Das ist wichtig, besonders in einer Zeit, als die Frontstellung der Liberalen gegen die islamischen Kräfte immer stärker wird und die Menschen die jeweils anderen mit großem |168| Misstrauen betrachten. Amr Khaled holt seine Zuschauer da ab, wo sie sind, und macht sie miteinander bekannt. Zum Beispiel auch mit Mohammed ElBaradei. Im Juni ist dieser zu Gast in Amr Khaleds Talkshow. Zum ersten Mal überhaupt darf der Liberale im Staatsfernsehen auftreten. Er erklärt, was er will und welche Werte ihm wichtig sind. Amr Khaleds Ziel ist es, die Gesellschaft dichter zusammen und damit einen Schritt nach vorne zu bringen. Sein Projekt kommt an. Das Meinungsforschungsinstitut »Thawra-Stats – Revolutionsstatistik« ermittelt im Mai, dass Amr Khaled als einflussreichster Ägypter gesehen wird.
Ahmed Abu Haiba, Suzanna Kamel und Amr Khaled sind nur drei von vielen Beispielen: Sie stehen für einen Neuanfang der pop-islamischen Bewegung. Diese stellt sich ganz in den Dienst des Aufbaus des Landes und zelebriert das Gemeinschaftsgefühl der Menschen über die Grenzen politischer Ausrichtungen, sozialer Schichten und sogar Religionen hinweg. Es ist nicht mehr notwendig, seine Religiosität zu betonen. Die Menschen haben Wichtigeres zu tun. Die neue Freiheit – dass Amr Khaled und Co beispielsweise jetzt im Staatsfernsehen auftreten dürfen – hilft, dass die Avantgarde wieder inhaltliche Impulse setzen kann und neue Schichten erreicht. Das Wichtigste aber ist, dass es ein gemeinsames Projekt gibt. Bisher predigte Amr Khaled, dass die Menschen sich engagieren sollen für die Gemeinschaft und dass es Hoffnung gibt auf Erneuerung: Jetzt geht es nicht mehr abstrakt um die islamische »Nahda – Renaissance«, sondern ums eigene Land.
Das Ende des
Dschihads
?
Die Revolution wirbelt auch die Radikalen und ehemals Militanten durcheinander: Zunächst einmal bringt sie ihnen die Freiheit. Zugleich hat sie ihnen den Feind genommen und |169| sie sind auf der Suche nach einer neuen Existenzberechtigung.
Mitte März kommen mehrere Hundert
Gamaat al Islamia -Gefangene
, einige
Dschihad
-Mitglieder und andere aus dem militanten Spektrum aus den Gefängnissen frei. Die Militärregierung schenkt ihnen die Freiheit. Essam al Din ist einer von ihnen. 18 Jahre hat er im Gefängnis verbracht. »Sie haben mich gefoltert mit Methoden, die ich mir nicht vorstellen könnte, wenn ich es nicht selbst erlebt hätte«, sagt er. Der 4 6-Jährige möchte gerne erzählen, aber er kann nicht. Alle
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