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Wir wollen Freiheit

Wir wollen Freiheit

Titel: Wir wollen Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Gerlach
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paar Minuten kommt er auf die Folter zu sprechen und dann fehlen ihm die Worte. Was man ihm angetan hat, ist ihm peinlich.
    Bei unserer ersten Begegnung bei einer Demonstration hatte ich ihn nach seiner Telefonnummer gefragt. Er hatte hilflos auf sein Handy geschaut: »Wie kriegt man die Nummer da noch einmal heraus?« Seine Frau Lubna hatte das Handy daraufhin liebevoll umgedreht: »Schau, da habe ich dir die Nummer draufgeschrieben«, sagt sie. Er muss sich in der Freiheit erst noch zurechtfinden.
    Er sei mehr zufällig zur
Gamaat al Islamia
gekommen, weil es in den 80er Jahren an der Uni Asuit wenig andere Gruppen gab. Bevor der Kampf richtig losgegangen sei, wurde er schon verhaftet. Seine Frau mit den beiden Jungen wusste lange nicht, was aus ihm geworden war, und musste sich all die Jahre allein durchschlagen. Eigentlich habe die Gruppe damals gar nicht kämpfen wollen, es sei eher eine Art Verteidigung gegen die Repression durch die Regierung gewesen. Auch gegen Christen hätte sie eigentlich nie etwas gehabt und überhaupt sei die meiste Gewalt auf das Konto der Staatssicherheit gegangen. Diese Behauptungen gehen dann doch zu weit, schließlich haben die
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in ihren Schriften immer kräftig gegen Andersgläubige gehetzt. Aber daran will sich Essam al Din nicht gerne erinnern.
    |170| Zum ersten Mal treffen sich jetzt die alten Kampfgenossen wieder. Es wird diskutiert und gewählt, denn die Gruppe braucht eine neue Führung. Es gibt eine Fraktion, die Parteien gründet. Andere sehen ihre Zukunft eher als Bewegung. Aber was sind ihre Ziele? Bisher galt es, die ungerechte Herrschaft zu bekämpfen. Und nun? Die
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ist im Frühjahr 2011 ein Verein älterer Männer, die schwer gezeichnet sind von ihrem Kampf mit der Regierung. Ob das neue Ägypten sie noch braucht, hängt davon ab, ob ihnen auch inhaltlich ein Neuanfang gelingt.
    Einer der Führer, Scheich Assem Abu al Maged, macht Anfang April einen Vorstoß. Ausgerechnet er will den Tourismus fördern und lädt Touristen zu einer Veranstaltung in Luxor ein. Ganz in der Nähe des Hatschepsut-Tempels, wo 1997 das Massaker stattfand. Er erklärt den Touristen, dass sie willkommen sind und von den Militanten nichts mehr zu befürchten hätten: »Sie haben sich etwas gewundert, schließlich sehe ich wohl ziemlich genau so aus, wie sie sich einen Terroristen vorstellen«, sagt der Mann Ende fünfzig in weißem Gewand und mit Henna gefärbtem ungestutzten Bart. Nach dem ersten Schreck hätten sie dann aber ihre Kameras herausgeholt und sich mit ihm fotografieren lassen. Die Frage nach der Zukunft der
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reicht er an seinen Sitznachbarn weiter: »Fragen Sie lieber die Jugend.« Der junge Mann mit schwarzem Backenbart und den buschigen Augenbrauen ist einer der zahlreichen Söhne des blinden Scheichs Omar Abdel Rahman. Wegen Verstrickung in das Attentat auf das World Trade Center 1993 sitzt der geistige Führer der
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in den USA im Gefängnis. »Ein wichtiges Ziel ist, meinen Vater aus dem Gefängnis zu bekommen«, sagt Ammar Abdel Rahman. Dafür hat die Gruppe schon mehrere Demonstrationszüge zur U S-Botschaft veranstaltet. Dann erzählt er mit leuchtenden Augen von seinen Tahrir-Erlebnissen: »Die alten Führer wollten ja |171| nicht, dass wir gehen. Sie hatten Angst, dass sie gegen uns als Erstes vorgehen würden und es uns ergeht wie ihnen. Wir sind aber trotzdem hin und waren ja dann in den Tagen der Gefahr auch ganz vorne mit dabei. Ich habe da mit Leuten geredet, unglaublich! Einmal habe ich mit einer Frau gesprochen, die hatte noch nicht einmal ein Kopftuch an. Sie war sogar ganz vernünftig«, sagt er. So haben sich ganz vorsichtig neue Ideen eingeschlichen in die Ideologie der
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.
    Aber ob diese sich durchsetzen? Die Führer versichern, dass ihr Ziel die Demokratie sei. Man werde zwar alles daran setzen, zu verhindern, dass etwa ein Kopte oder womöglich eine Frau zum Präsidenten gewählt werde, weil dies mit der Scharia nicht vereinbar sei. Doch sie würden sich dabei an die demokratischen Spielregeln halten: »Keine Angst, wir würden nicht zum Dschihad gegen eine Präsidentin aufrufen«, sagt Scheich Assem. Eine Streichung des Artikel 2 der ägyptischen Verfassung, der den Islam zur Hauptquelle der Rechtsprechung erhebt, würde allerdings – das ist auch klar – bei der
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auf heftigen Widerstand stoßen.
    Auch ist klar, dass die
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auf der Suche nach

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