Wir wollen Freiheit
im TV anschauen; im Parlament wollen sie lieber Vertreter in Anzug und Kostüm für sich sprechen lassen. Diese Wählerstimmen hoffen unabhängige islamische Gruppierungen und Politiker wie Khaled Al Safarani zu gewinnen.
Hetze gegen Christen und Liberale ist viel einfacher, als konkrete Gesetzesentwürfe zu Wirtschaftspolitik oder Bekämpfung von Korruption zu entwickeln. So werden manche |188| dieser neuentstehenden Parteien versuchen, Wähler zu gewinnen, indem sie die Sitten der Liberalen und die Jugendkultur des Tahrir als Gefahr für die Werte der Gesellschaft darstellen. Damit werden sie sicherlich einige mobilisieren, denen die lockeren Sitten der Jugendlichen zu weit gehen. Zugleich hat diese Strategie Grenzen: Schließlich sind es ausgerechnet diese Jugendlichen, die Ägypten die Freiheit gebracht haben und man kann sie nicht ganz verdammen.
|189| 6. Was hat die Revolution mit uns zu tun?
E s war ihr begeistertes Lächeln und dieser eine Satz, der mir nicht aus dem Kopf geht: »Die Revolution in Ägypten wird auch das Leben von uns Muslimen in Europa verändern. Es wird eine neue Zeit anfangen im Zusammenleben zwischen Orient und Okzident!« Das sagte die Frau mit dem rosa Kopftuch, die ich am Tag nach Mubaraks Rücktritt auf dem Flug von Frankfurt nach Kairo traf. Leider habe ich sie nicht nach ihrem Namen und ihrer Telefonnummer gefragt. Es wäre doch interessant zu hören, ob sie tatsächlich Verbesserungen beobachtet hat. Färbt das positive Image der Jugendlichen vom Tahrir-Platz auch auf die jungen Araber oder sogar Muslime insgesamt in Deutschland ab? Werden sie womöglich nicht mehr mit Schulversagern und Terroristen in einen Topf geworfen, sondern mit mutigen Revolutionären verglichen? Wael Ghoneim und Azma Mahfouz statt Eiman al Sawahiri und Mohammed Atta?
»Ich würde schon sagen, dass es eine Verbesserung gibt. Auf jeden Fall«, sagt Mohammed Taha Sabri. Scheich Taha, wie ihn hier alle nennen, ist Imam im »Dar al Salam – Haus des Friedens« in Berlin Neukölln. Am Freitag kommen bis zu 800 Muslime zum Freitagsgebet zu ihm und der Imam ist stolz darauf, dass seine Moschee ein Ort ist, wo sich Aktivisten treffen, Solidaritätsdemos und Mahnwachen vorbereitet werden. Er sieht sich als Außenstelle des Arabischen Frühlings. »Die Revolutionen sind bei uns ein großes Thema und ich spreche eigentlich fast jede Woche auch in der Predigt darüber«, so Scheich Taha. Er selber gehört zur islamischen »al Nahda – Renaissance«-Bewegung, die in Tunesien |190| verboten war, und er kam als politischer Flüchtling nach Berlin. Die Revolutionen in der Arabischen Welt hätten in diesem Frühjahr auch mehr Nicht-Muslime als sonst in die große Moschee gebracht: »Es kamen Leute, die neugierig waren und wissen wollten, was in Tunesien und Ägypten los ist und mit uns darüber diskutieren wollten«, erzählt er. Auch von seinen Arbeitskollegen – er hat lange in der Autoindustrie gearbeitet – bekomme er jetzt nettere Kommentare: »Bisher hieß es immer: Bei euch ist alles schlecht, und sie hatten das Bild vom Turbanträger vor Augen, der auf den Westen schimpft. Jetzt denken sie an die jungen Männer und Frauen, die auf dem Tahrir-Platz waren«, sagt er.
Osamah AlDoaiss nickt zustimmend. Der 1 9-Jährige hat gerade sein Abitur gemacht und kommt oft her: »Bisher musste ich häufig erklären, wo der Jemen liegt, wenn mich jemand gefragt hat, wo meine Eltern herkommen. Jetzt wissen es alle und ich finde es gut, dass es mal positive Nachrichten von dort gibt«, sagt er. Vorsichtshalber buchstabiert er seinen Vornamen: »Mit O vorne und H hinten. Also ganz anders als Usama Bin Laden«, sagt er. Persönlich habe er ja mit der Revolution in der Arabischen Welt nichts zu tun. Er habe weder daran teilgenommen, noch habe er sich bisher allzu sehr mit seinen jemenitischen Wurzeln beschäftigt: »Ich bin Deutscher und mein Leben ist hier. Ich freue mich aber natürlich für die Leute da«, sagt er, und natürlich verändere es auch etwas, wenn die Menschen in den Medien etwas über mutige Demonstrantinnen wie Tawakul Karman und über den Freiheitswillen der Jugendlichen dort erfahren und nicht als Erstes an
Al Kaida
denken, wenn es um den Jemen geht. Das gelte besonders, weil ja Tawakul Karman zu einer islamischen Partei gehöre. »Sie haben gesehen, dass die Menschen dort gläubige Muslime sind und eigentlich das Gleiche wollen wie Leute überall auf der Welt: Freiheit und Gerechtigkeit«,
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