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Wir wollen nicht unsere Eltern wählen: Warum Politik heute anders funktioniert (German Edition)

Wir wollen nicht unsere Eltern wählen: Warum Politik heute anders funktioniert (German Edition)

Titel: Wir wollen nicht unsere Eltern wählen: Warum Politik heute anders funktioniert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannah Beitzer
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möglichen Risiken und Mehrausgaben berechnet – und schließlich sogar weniger Geld ausgegeben, als online kommuniziert wurde. Die Bürger waren größtenteils zufrieden mit dem Projekt – weil es gar nicht so sehr auf die totale Summe ankommt, die ausgegeben wird, sondern mehr auf den Wunsch zu wissen, wofür eigentlich, auf das Gefühl, schon vorher realistisch über Chancen und Risiken informiert worden zu sein, sodass diese absehbar werden. Hier zeigt sich: Die Menschen sind heute überhaupt nicht fortschrittsfeindlicher oder generell gegen Großprojekte. Ihnen missfällt bloß das Gefühl, getäuscht, verarscht und geblendet zu werden. Wenn wir verstehen, wie Politik funktioniert, können wir ihr auch vertrauen. Solange die Politik jedoch als undurchdringlicher Apparat erscheint, der ein beängstigendes Eigenleben führt, können und dürfen wir das nicht.
    Das kann bedeuten, dass tatsächlich einiges transparenter werden muss. Es kann aber auch bedeuten, dass die Politik an manchen Stellen erklärt, warum es verschlossene Türen braucht. Es kann aber auf keinen Fall bedeuten, dass wir aus falsch verstandenem Vertrauen heraus Politiker einfach gewähren lassen und ignorieren, was sie da eigentlich hinter verschlossenen Türen tun.

Es geht um Macht
    Weniger ideologische Grabenkämpfe, dafür mehr Kommunikation, mehr Mitbestimmung und nachvollziehbare Entscheidungswege – hört sich eigentlich an wie etwas, das so ziemlich jeder unterschreiben kann. Trotzdem hakt und hängt es an so vielen Stellen, und es verändert sich allzu oft – nichts. Woran liegt das?
    Das ist eigentlich ziemlich logisch. Es tobt ein knallharter Kampf um die Macht, um die politische Deutungshoheit. Zum Beispiel thematisch. Nehmen wir noch einmal die Aussage, die Grünen hätten immerhin eine «politische Jahrhundertaufgabe» zu bewältigen gehabt: den Umweltschutz. Deswegen seien sie erfolgreich gewesen. Den Piraten (stellvertretend für viele andere Netzaktivisten) hingegen sprechen die Alten diese Aufgabe schlicht ab – das Internet könne man ja wohl unmöglich mit Umweltschutz vergleichen! Warum? Die Antwort bleibt unsere Elterngeneration oft schuldig.
    Tatsächlich geht es hier um mehr als nur Unwissenheit seitens der Alten. Indem die Jugend das Internet als ihr ureigenes Thema definiert, pinkelt sie all jenen ordentlich vor die Füße, die glauben, ein angestammtes Recht auf die politische Deutungshoheit zu haben: ältere Politiker, etablierte Parteien, aber auch Journalisten, Autoren, Lehrer und andere, die für die politische Meinungsbildung zuständig sind. Nicht nur thematisch müssen die sich nun auf ein neues Politikfeld, nämlich den digitalen Wandel und die Netzpolitik, einstellen – sie werden auch in Sachen Resonanz und Wahrnehmung von ihrem Sockel gestoßen. Auf einmal haben sie in ihrem Politikfeld nicht mehr selbst das letzte Wort, sondern bekommen tausend und abertausend Widerworte. Da hauen x-beliebige Wähler einen auf Facebook zum Nahostkonflikt an! Da wird einem das letzte gebrochene Wahlversprechen schonungslos um die Ohren geklatscht! Nach Steuersenkungen gefragt! Oder auf die steigenden Strompreise geschimpft!
    Früher konnte sich ein Politiker schlicht selbst aussuchen, wann und wie er in Kontakt mit Leuten kommt – es sei denn, sie marschierten vor seinem Büro auf oder bewarfen ihn auf der Straße mit Farbbeuteln. Aber das waren ja eher die Ausnahmefälle. Normalerweise gab es Veranstaltungen, Reden, Schiffstaufen oder irgendein Band zum Durchschneiden, also spezielle Events, zu denen das Volk mal ganz nah kommen durfte. Oder auch eine Fernsehansprache, in der sich ein Politiker erklärte. Ein großes Interview, eine Denkschrift in einer altehrwürdigen Tageszeitung.
    Auf einmal kann der Abgeordnete gar nicht mehr selbst entscheiden, wann er sich «dem Volk» stellt – das Volk tut einfach ungefragt seine Meinung kund. Und zwar nicht, wie früher, mit Briefen und Anrufen, die man ignorieren kann oder auch nicht. Sondern im Netz, wo es jeder sehen und wo aus mehreren Unzufriedenen leicht ein ganzer Proteststurm werden kann. Während es früher eher darum ging, Volksnähe «zu demonstrieren», ist jetzt das Volk von ganz allein nah gekommen – und zwar näher, als es sich manch einer wünscht.
    Sicher, Politiker schielten schon immer auf die Meinung der Masse – aber ob die nur irgendwie abstrakt in Form von Umfragewerten auf ihren Schreibtischen landet, ist halt doch etwas anderes, als wenn sie einem

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