Wir wollen nicht unsere Eltern wählen: Warum Politik heute anders funktioniert (German Edition)
als gedacht.
Wenn wir hören, dass ein Angestellter des Gesundheitsministeriums jahrelang Gesetzesentwürfe gegen Geld an Lobbyisten weitergab, dann bestätigt das das alte Vorurteil, dass in der Politik immer irgendwer käuflich ist. Das hier verlorengegangene Vertrauen zu bejammern, mag zwar vom philosophischen Standpunkt aus interessant sein. Was sagt das über eine Gesellschaft, wenn einander nicht vertraut werden kann? Ist das nicht traurig? Ja, das ist es. Furchtbar traurig. Und es wäre toll, wenn wir Politikern einfach so vertrauen könnten. Doch an der Situation ändern derart wohlfeile Betrachtungen nichts.
Und auch die Debatte um Peer Steinbrücks Nebeneinkünfte hatte mehrere Ebenen, von denen nur einige Blödsinn sind. Natürlich ist es dämlich, einem Sozialdemokraten das Recht abzusprechen, viel Geld zu verdienen. Deswegen ist es eigentlich relativ egal, wie groß sein Gesamtvermögen ist, wie viel Geld er in absoluten Zahlen in den vergangenen Jahren verdient hat. Nicht egal ist jedoch die Frage, ob er Geld von irgendjemandem bekommen hat, der sich davon einen Nutzen verspricht – ganz egal, ob es sich dabei um einen tatsächlichen Deal handelt oder ob sich der Geldgeber nur einen Nutzen verspricht. Es ist wichtig, dass sich Politiker in solchen Fällen ihrer Verantwortung bewusst werden. Sie sind eben mehr als Privatpersonen. Sie bekommen vom Staat Geld dafür, dass sie von den Bürgern gewählt worden sind. So sind eigentlich also die Bürger die Arbeitgeber des Politikers.
Außerdem hören wir schließlich seit Jahren, dass Bildung und Teilhabe die kostbarsten Güter unserer Gesellschaft seien – dazu gehört ja wohl auch, dass wir darüber Bescheid wissen, wie unser politisches System funktioniert. Und zwar nicht nur auf dem Papier, sondern im Alltag. Irgendwie ist es doch schizophren: Einerseits verlangt der Staat vom Bürger, mitzumachen, sich zu interessieren, Dinge nachzuvollziehen. Gerade wir müssen uns immer wieder den Vorwurf gefallen lassen, diese Teilhabe, die zu einer Demokratie dazugehört, zu verweigern. Aber zu groß soll das Interesse dann auch nicht sein, damit die Politiker nicht bei der Arbeit gestört werden. Wer soll denn da noch durchblicken?
Aber was ist nun Transparenz? Das können auch wir Jungen nicht abschließend beantworten, weil wir das gar nicht wollen. Was wir stattdessen wollen, ist, dass sich alle gemeinsam Gedanken darüber machen, was wir eigentlich von Politikern erwarten. Dass wir vielleicht auch ausprobieren, was funktioniert, was Vertrauen schafft. Denn Transparenz ist ihren Kritikern und Verfechtern bisher nichts weiter als ein ziemlich leerer Kampfbegriff. Füllen wir ihn mit Leben!
Eigentlich sollte Transparenz ohnehin das Normalste der Welt sein. Wir wollen ja schließlich auch wissen, was in unseren Lebensmitteln drin ist. Wer unsere Kleider zusammennäht. Warum wir einen Strafzettel bekommen haben. Es gibt Transparenzoffensiven in allen möglichen Bereichen des Lebens, deren grundsätzlichen Sinn kaum einer anzweifelt: Diverse Siegel von «Bio» bis «Fair Trade» sollen beispielsweise bewussten Konsum erleichtern (wenngleich in diesem Fall die Vielzahl der Kennzeichnungen eher verwirrt als aufklärt). Da wäre es doch total komisch, wenn wir ausgerechnet in der Politik, die ja schließlich unsere Gesellschaft gestaltet, überhaupt keine Ahnung hätten, wie Entscheidungen zustande kommen, nach welchen Kriterien sie gefällt wurden und wer Einfluss auf sie ausgeübt hat.
Das Transparenzregister von Europäischem Parlament und EU -Kommission ist sicher ein guter Anfang. Hier protokollieren die Institutionen, mit welchen Lobbyorganisationen und Gruppen sie in Kontakt sind. «Die Bürgerinnen und Bürger erwarten zu Recht, dass dieser Prozess transparent ist und dass dabei Gesetze und ethische Grundsätze eingehalten werden: Es darf kein unstatthafter Druck ausgeübt werden; unrechtmäßiger oder bevorrechtigter Zugang zu Informationen oder zu Entscheidungsträgern ist zu vermeiden», heißt es dort. Allerdings ist die Eintragung im Register freiwillig, Kontrollorganisationen wie Lobby Control bemängeln daher, dass wichtige Unternehmen dort nicht vertreten seien.
Und sogar auf dem in Deutschland spätestens seit Stuttgart 21 absolut verminten Gebiet der Bauprojekte gibt es schon gute Beispiele: Die Stadt London zum Beispiel hat nicht nur die Einzelposten der Kosten für Olympia zu jeder Zeit einsehbar ins Netz gestellt, sondern auch die
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