Wir Wunderkinder
unter dem Kronleuchter des blausilbernen Mittelsaales, vor dessen offenen Türen wir agierten.
Ich hatte für Wera und mich die Hauptrollen des melancholischen Liebespaares erhofft, um so unser Glück auch auf diese Weise und in erlesener Umgebung kundzutun. Aber wir fielen beide durch. Unser Regisseur fand mich komisch und gab mir eine entsprechende Rolle, und Wera fragte er:
»Mädchen, was haben Sie für einen unmöglichen Dialekt?«
Wera gab ihren Melusinenaugen den Anschein kugelrunden Staunens und fragte zurück:
»Ach, hab' ich den?«
»Es klingt, wie wenn man Koks in einen eisernen Ofen schüttet. Wo kommen Sie bloß her?«
»Von den Deutschordensrittern«, sagte meine traditionsbewußte Freundin und machte damit ihrerseits dem Regisseur die Augen rund.
Er entschloß sich, sie in ein blauseidenes Pagenkostüm zu stecken, das vollkommen mit den Damastwänden des Cuvilliésschlößchens harmonierte, ohne sprachliche Offenbarungen zu verlangen.
Wir taten beide das Unsre. Wera blies anmutig auf einer Flöte, zu der ein unsichtbarer Musiker im Hintergrund die Töne lieferte, und trug bei anbrechender Nacht ein Windlicht über die Szene, das ihr vorzüglich stand, da es ihrem Haar noch zusätzlichen Goldglanz und den abgründigen Augen noch mehr Abgrundtiefe gab. Ich hampelte als komische Figur herum und sang als Einlage sogar ein Liedchen, obwohl ich nicht singen konnte.
Unsere Komödie erntete beim Publikum viel Applaus und bei den Kritikern hohes Lob, von dem wir gerechterweise einen Teil den blühenden Linden, den Heuwiesen und dem sich eben rundenden Mond zuwiesen. Am ersten Abend saß in der ersten Reihe ein reizender alter Herr, der im Schloß wohnte und den Titel eines Prinzen von Bayern führte. Am zweiten Abend saß dort Bruno Tiches, der, mit Breeches, Ledergamaschen und einer Windjacke, wie ein Landwirtschaftler aussah. Doch schien er nicht ohne Wohlwollen zu sein und stieg unbekümmert die wenigen Stufen zu unserer Bühne hinauf, während wir uns noch für den Applaus bedankten.
»Ganz ordentlich«, sagte er zu mir, indem er mir auf die Schulter klopfte, »hätte ich dir nie zugetraut!«
Und weil der Erfolg und die zauberhafte Nachtstimmung mich heiter und gelöst gemacht hatten, sagte ich wieder einmal freundlicher, als er es verdiente:
»Danke, Bruno. Hat dir das Stück gefallen?«
»Ein bißchen labbrig. Kennst du Dietrich Eckart?«
»Nein«, antwortete ich, »aber grüß' ihn unbekannterweise von mir.«
Da war das Wohlwollen aus seinen Blicken verschwunden, und ich wußte, daß die Kurierpost über Onkel Bense bald wieder arbeiten würde.
An diesem Abend trieb ich mit Wera ein verwegenes Spiel. Wir trennten uns von den heimgehenden Studenten und ließen uns im Park einschließen. Von den Proben her kannten wir einen geheimen Ausschlupf. Wir beschlossen, die Kleinheit unserer Rollen auszukompensieren, indem wir für ein paar Stunden einer Sommernacht ›Barockfürstens‹ spielten. Wera mußte ja das Einschlägige in ihrem blauen Blut haben.
In dem uralten, einsamen Park trieben wir die verwegensten Albernheiten. Ich hatte vom Strandbadbesuch am Nachmittag her eine Badehose bei mir und sprang ins Becken der großen Fontäne. Wera hatte keine, aber sie sprang auch hinein. Im Mondlicht schimmernd, glich sie einer der marmornen Najaden, die lieblich das Wasser bevölkerten. Wir ließen uns das eiskalte Silber den Rücken hinunterrinnen.
Als wir wieder angezogen waren, fanden wir am großen See ein leeres Marmorpostament. Ich stieg hinauf und ahmte parodistisch die athletischen Muskelmänner nach, die sich im vorderen Teil des Parks als stattliche Marmor-Ringerriege präsentierten.
»Mach mal Saturn«, bestellte Wera.
»Da muß ich ja ein Kind in den Bauch beißen«, rief ich hinunter. »Aber bitte, wenn du dich zur Verfügung stellst!«
»Daß mir die Narbe aufplatzt! Nein, danke.«
Doch weil wir auf jeden Fall etwas Gemeinsames darstellen wollten, hob ich Wera herauf, und wir spielten Raub der Sabinerinnen, wobei ich mein blondes Leichtgewicht bald auf den Arm nahm, bald mir über die Schulter legte. Es muß sehr dekorativ ausgesehen haben.
Bei der zweiten Darstellung hörten wir plötzlich, ganz nahe und immer näherkommend, Schritte auf dem Kies.
»Ein Parkwächter«, flüsterte Wera, »das kann ja schön werden!«
»Halt dich still!« flüsterte ich zurück, »vielleicht merkt er's nicht.«
Immerhin konnten wir froh sein, daß der Kerl nicht schon eine halbe Stunde früher
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