Wir Wunderkinder
bei der Fontäne erschienen war.
Der Mann, der näher kam, ließ sich nicht täuschen. Er schien die allegorischen Bestände des Parks genau zu kennen, denn er rief – hinter unserm Rücken stehend – freundlich »Grüß Gott« zu uns hinauf.
Mir blieb daraufhin nichts anderes übrig, als meine Sabinerin von der Schulter zu nehmen und hinunterzureichen. Dort ruhte sie sogleich an Brust und Bart des reizenden alten bayerischen Prinzen. Mir blieb alles weg, was überhaupt wegbleiben kann.
Nur meine traditionsbewußte Freundin rettete die Situation und zirkelte etwas auf den Parkweg, was wie ein Hofknicks aussah, worauf ich – törichterweise immer noch von meinem Postament herab – ihren klangvollen und meinen simplen Namen wie ein Herold verkündete.
»Kutscherleut', gell?« sagte der Prinz, der uns von der Aufführung her zu erkennen schien.
»jawohl, Königliche Hoheit!«
»Wenn S' vielleicht noch was produzieren wollten? Es war wirklich sehr charmant. Der erste Ludwig, wann er noch leben tat, hätt' sicher eine Mordsfreud' drüber gehabt.«
Wir produzierten nichts mehr. Der Schreck über diese historische Begegnung hatte sich lähmend auf meine Phantasie gelegt, und nachdem ich vom angemaßten Postament gesprungen war, äußerte ich nur noch die Bitte, uns empfehlen zu dürfen.
»Da müssen S' mich aber schon bis zum Schloß begleiten, wenn S' noch naus wollen!« sagte der arglose Prinz, und ich brachte es nicht fertig, ihm die Schadhaftigkeit seiner Parkmauer einzugestehen.
So schritten wir mit einem angestammten Wittelsbacher, an duftenden Heuwiesen und der marmornen Männerversammlung mit dem kinderfressenden Saturn vorüber, dem großen, im Mondlicht doppelt hellen Schloß zu. Wir sprachen vom Professor Kutscher, sehr dezent von Weras Blinddarmoperation am 9. November – »Wann s' uns nur an dem Tag was anderes auch hätten wegoperier'n können«, seufzte der alte Herr – und vom glorreichen Sieg des Kurfürsten Max Emmanuel bei Belgrad.
»Ich würd' Sie gern noch auf ein Flascherl Pfälzer hinaufbitten«, sagte der liebenswürdige Prinz, als wir vor dem Schloßdurchgang angekommen waren, »aber es geht leider nicht wegen der Dienerschaft. Die sind so arg moralisch. Aber vielleicht ein andermal, und dann ein bissei früher!«
Damit zog unser hoher Begleiter, wie ein gutbürgerlicher Hausvater, einen Schlüssel aus der Hosentasche – nicht einmal golden war er – und schloß ein Seitenpförtchen des schweren Eisengitters auf, durch das wir auf das große Schloßrondell hinaustreten konnten.
Mit »Grüß Gott« und »Angenehme Ruh« verabschiedete er sich aufs herzlichste von uns.
Noch nachträglich war mir wie dem Reiter überm Bodensee zumute, wenn ich an unsere Badeszene dachte. Ich gestand es Wera.
»Wär' er dreißig Jahre jünger gewesen«, antwortete sie, »und wäre das ganze vor dreihundert Jahren passiert, hätte ich gerade damit eine große Hofkarriere machen können.«
»Vater hat doch recht«, sagte ich bekümmert. »Ich bin zu dir hinabgestiegen.«
Da stieg sie zu mir hinauf, indem sie sich auf die Zehenspitzen stellte, und gab mir mit ihrem Ordensrittervorfahrenmund einen langen Kuß. Der Mond schien, und der alte Prinz schaute uns aus einem erleuchteten Fenster nach.
Drehtüren
Wunderbar leicht erschien uns in den nächsten Jahren das Leben. Wie in den windgeschützten, gläsernen Drehtüren eines eleganten Hotels bewegten wir uns, vorwärts und doch im Kreise. Hatte man die Geschichte ein bißchen angestoßen, lief sie elegant und beinahe von selber in ihrem geölten Mechanismus. Passanten ins Helle und Dunkle drehten sich an uns vorbei, Generale, Präsidenten, große Schauspieler, dichtende Kleistpreisträger, Wirtschaftsführer. Mal brannte es irgendwo ein bißchen in der wirklichen Welt außerhalb der Drehtür. Aber da fuhr bald irgendeine Feuerwehr hin. Der Brandgeruch wurde durch solide, dichte Vorhänge abgehalten. Hell-Dunkel, Leben-Tod, Tag-Nacht, Pfandhaus-Weihnachtszimmer. Es wäre beinahe eine Lust gewesen zu leben, wenn wir uns nicht erinnert hätten, schon einmal so zwischen Glasscheiben im Kreise getrabt zu sein.
Mit einemmal studierten wir wieder richtig, Wera und ich. Wir saßen artig in Kollegs, hörten auf der Meister Worte und schrieben sie mit, aßen ab und zu in Gasthäusern und brauchten nicht mehr in Schaubuden aufzutreten.
1925 hörten wir zum erstenmal Radio, nachdem ich mir einen Detektor-Apparat angeschafft hatte. Wir stülpten uns
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