Wir Wunderkinder
jetzt auch die Umstände und braucht vielleicht mal Tapetenwechsel. Sie soll dort nebenbei ein bißchen Französisch lernen, weil jetzt manchmal fremde Journalisten und so internationales Gesoxe in unser Haus kommen, und da ist es ganz wichtig, wenn man weiß, was die untereinander reden. Ich lerne keine fremden Sprachen mehr, in ein paar Jahren sind wir ja doch Weltsprache {41} .
Übrigens macht Doddy alles viel flotter als Evelyna. Später kann ich die zwei vielleicht mal austauschen. Viele von den alten Parteigenossen stoßen jetzt ihre Frauen aus der Kampfzeit ab, da fiele das bei mir gar nicht so auf. Übrigens hatten wir gestern abend auch einen Rasseprofessor, einen gewissen Doktor Prziginsky, mit zu Gaste, und zu dem sagte ich: ›Wie würden Sie denn meine Schwägerin rassisch zuordnen?‹ Da guckte er sie sich genau an und meinte, sie sei wohl ›nordisch-isisch-wikingisch‹. Er schriebe jetzt gerade eine Broschüre drüber und würde da verschiedene alte Parteigenossen mit unterbringen. Als der Doktor witzig fragte, ob er da auch mit untergebracht werden könnte, sauste mein Professor hoch, streckte den Arm aus und rief stinkernst: ›Wenn Herr Minister wünschen, ist es mir eine große Ehre!‹ Die Professoren und Wissenschaftler sind doch alle ulkige Kruken, auch wenn sie Pg's sind.«
5. Juli 1933
»Mit den Meisegeiers kann man immer wieder was erleben. Schwiegermutter ist ganz brauchbar, solange sie nicht säuft. Neulich war ihr ganzes Ressort blau. Da hatte sie wieder heimlich eine Pulle Kognak eingeschmuggelt. Ich habe daraufhin ihre Sekretärin in das Reichsamt für kirchliche und schulische Fragen strafversetzt.
Evelyna ist wieder zurück und hat ihrer Schwester eklige Szenen gemacht. Da hat sicher einer getratscht. Auf die Dauer lasse ich mir das natürlich nicht bieten.«
6. August 1933
»Wir haben ein Mädchen gekriegt. Evelyna hatte zwei Universitätsprofessoren dabei, aber es wurde eben doch nicht mehr. Doddy habe ich ans Operettentheater gebracht. Der Intendant wollte erst nicht. Aber ich hab mir den Mann kommen lassen und ihm ordentlich den Marsch geblasen. Manche Leute scheinen immer noch nicht zu wissen, in welcher Zeit wir leben.«
15. August 1933
»Da sind die doch im erbbiologischen Hauptamt auf die Schnapsidee gekommen, auch von uns aus dem B.H. {42} eine Kartothek anzulegen. Das ist natürlich wieder eine Intrigie (sie!) aus SA-Kreisen. Jetzt fängt Schwiegermutter an, Väter für ihre Kinder zu rekonstruieren. Ein paar haben wir wieder fallenlassen. Für Eberhard habe ich den Ortsgruppenleiter Bense bestehen lassen. Das ist der Onkel von R … {43} Jetzt bin ich sozusagen mit dem weitläufig verwandt. Aber der soll sich bloß nicht drauf berufen! Da reagiere ich sauer. Karl und Doddy sollen übrigens den gleichen Vater haben. Das sind die rassisch wertvollsten aus der Familie.«
Während die Tiches-Meisegeier-Clique so ihre Hausmacht begründete und erweiterte, begann ich sehr genau zu begreifen, in welcher Zeit wir lebten. Unser Hauptschriftleiter wurde abgesägt, und wir bekamen dafür einen mit dem Goldenen Parteiabzeichen. Der mäkelte gleich am ersten Tag an mir und meinen Beiträgen herum und fing willkürlich an, darin zu streichen und neue Wendungen hineinzubringen. Ich schämte mich vor meinen wenigen Münchner Freunden, zu denen mein alter Kollege Dr. Hans Löw mit seiner reizenden jungen Frau gehörte, und der ›aus rassischen Gründen‹ aus der Redaktion geworfen worden war.
An einem Juliabend hatte ich die Löws zusammen mit dem Ehepaar Gebbinger eingeladen. Die vier waren die nettesten Leute, die ich in München kannte. Löw, aus einer alten rheinischen Familie stammend, war klug, kultiviert und bescheiden und schrieb zarte, formal meisterliche Gedichte, in denen er vor allem den atmosphärischen Zauber der Voralpenlandschaft einfing. Seine Frau, die er erst kürzlich geheiratet hatte, war eine stille, blonde Schwedin, weniger temperamentvoll als die langbeinige und struwwelhaarige Kirsten. Fritz Gebbinger war ein echter Münchner, ein Reisekaufmann mit einem gutgehenden Geschäft, und seine untersetzte, füllige und humorvolle Frau hatte die Marotte, Zigarren zu rauchen.
Es gab zu der Zeit gerade eine durchgehende Schönwetterperiode mit warmen Nächten, wie sie in Alpennähe selten sind, und deshalb hatte ich zu einer ›Italienischen Nacht‹ auf meinen Balkon gebeten. Ich zog bis zur Mitte des Balkons Schnüre, an denen ich bunte Lampions aufhängte,
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