Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Wir Wunderkinder

Titel: Wir Wunderkinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hartung Hugo
Vom Netzwerk:
spielte, untermischt von den Staccati der Regentrommel. Und doch ist mir dieser Tag golden und silbern in Erinnerung geblieben. Der tiefe Goldglanz kam von byzantinischen Mosaiken, und silbern rann der Regen über die breiten Fächer der Palmen, die hier schon afrikanisch in Hainen wuchsen. Wir standen unter den Palmenriesen eines Parks, eng aneinander und an einen rauhfasrigen Stamm gelehnt.
    »Sieh mal«, sagte Wera, »alles, was wir daheim in Blumentöpfen mit kleinen Gießkännchen beträufeln, wird hier zum Baum.«
    »Ja, man sieht es wachsen.«
    »Man hört es …«
    Es war wirklich, als würden die mächtigen Wedel über uns in den Silberfluten immer breiter und gewaltiger, und ihr klapperndes Rascheln klang nach einem sausenden Webstuhl.
    »Ich glaube, der odysseische Zauber hat hier nie aufgehört. Wenn du eine einigermaßen brauchbare Circe wärst, würdest du uns jetzt in Palmen verwandeln.«
    »Ich weiß nicht, hustende Palmen mit baltischem Akzent!«
    »Ich denke, du hustest nicht mehr?«
    »Seit einem Jahr nicht mehr. Aber sobald ich in ein falsches Klima gerate – .«
    »München wirst du ja schließlich auch wieder aushalten müssen, wenn du jetzt zurückkommst!«
    Daraufhin sagte sie nichts, sondern legte ihr nasses Gesicht an mein nasses Gesicht. Es wurde Abend, und balsamisch schwere Düfte verzauberten uns.
    In dieser Nacht um die elfte Stunde – wir lagen schon in unseren Betten – geschah etwas Sonderbares. Der liebe Gott schaltete den Regen aus. Knips, eine kleine Drehung, und still war es. Und dann schaltete er die prospektgemäße Lebensfreude der Stadt Palermo an. Die zweite Drehung – knips –, und laut wurde es. Es war, als ob man ein Spielwerk mit einem Schlüssel aufgezogen hätte. Plötzlich liefen die Figürchen im großen Korso, viele kleine Kinder in weißen Schühchen fröhlich mittendrin. Kapellchen begannen zu spielen, Hüpchen zu hupen, Drehörgelchen zu orgeln, Lautbrüllerchen zu brüllen. An Schlafen war nicht mehr zu denken.
    Ich lief in Weras Zimmer hinüber. Sie stand am Fenster und schaute auf die durch die Regenbegießung ins Kraut geschossene sizilianische Fröhlichkeit, die unter einem makellosen byzantinischen Sternenhimmel stattfand.
    »Wollen wir uns anziehen und da unten noch ein bißchen mitmachen?« fragte sie. »Oder –?«
    »Oder«, antwortete ich.
    In Weras Zimmer war keine ›Glocke für Hülfe‹.

Nymphentränen
    Auf einmal wurde der Frühling wieder Frühling, Sizilien Sizilien und Wera Wera.
    Das heißt, der Frühling stimmte durchaus nicht mit unseren Vorstellungen überein, da wir diese Jahreszeit so oft nur als einen leicht angewärmten Winter erleben dürfen. Unser sizilianischer Frühling platzte sozusagen vor Vitalität aus allen Nähten. Er war der Inbegriff aller Düfte und Farben, allen Glanzes und jeder nur denkbaren Seligkeit.
    Himmel und Meer suchten einander an Bläue zu übertrumpfen, und je höher man von Taormina bergwärts stieg, um so weiter schaute man über das Meer, das Silberschauer überliefen. Um so höher auch wuchs der Ätna mit dem weißen Schneekranz um das empedokleische Götterhaupt und der gewaltigen Rauchfahne seines großen Kraters, die im Himmelslicht träge zerfaserte.
    Mittags sank das Bergstädtchen in tiefen Schlaf. Fensterläden wurden zugeschlagen, und schadhafte Jalousien rasselten schief herab. Der ziegenfüßige Pan flötete in der hohen Mittagsstille, und Rosen und Levkojen in den Gärten und Parks dufteten so betäubend, daß einschlafen mußte, was noch nicht schlief: die Sommerfrischler in den kühlen Hotelzimmern oder auf den Terrassen überm Meer, der alte Gemeindebote auf den Vorderradfelgen seines Fahrrads, Großmütter – das ohnehin schlafende Enkelkind im Arm – auf der Steintreppe ihres Hauses, ein Knabe, der sich als Photomodell vermietete und auf vielen Ansichtskarten käuflich war, am Brunnenrand, von Wasserschleiern übersprüht.
    Nur Wera und ich schliefen nicht. Wir schlugen Pan ein Schnippchen, liefen auf gewundenem Pfad, zwischen blühenden Mauern, zum Strand hinunter und wateten barfuß zu einem Inselchen, das aus Urgestein, wild wuchernden Kakteen und den Trümmern irgendeines sarazenischen Wachtürmchens bestand. Dort entledigten wir uns unserer Kleider, unserer Tradition und Vorurteile und schmorten in der blauen, flirrenden Glut. Wera wurde von Tag zu Tag brauner, die köstlichen Menüs zu zwölf Lire rundeten ihre schmal gewordenen Wangen, und Eidechsen umspielten ihren

Weitere Kostenlose Bücher