Wir Wunderkinder
und beschloß, eine Bowle anzusetzen. Außerdem hatte ich von meiner unvergeßlichen Primavera-Reise zwei geschmuggelte Literflaschen mit dem köstlichen Chianti aus Valpolicella aufbewahrt.
Weitere Begegnungen mit Kirsten hatte ich bisher vermieden. Ich hätschelte noch immer meinen Kummer um Wera und gab auch in meinen Briefen die Hoffnung nicht auf, daß wir eines Tages doch noch zusammenkämen.
Gebbingers erschienen als erste. Weil ich Kirsten nicht eingeladen hatte und also auch den Weg durch ihr Zimmer nicht benutzen konnte, mußte ich das Ehepaar bitten, durchs Fenster zu steigen, um auf meine Balkonhälfte zu gelangen. Außerdem war das Gillelejemädchen gar nicht zu Hause. Als ich auch Frau Löw durchs Fenster gehoben hatte, war schon eine gewisse Stimmung da, ehe wir nur einen Tropfen getrunken hatten; denn manchmal genügen dafür solche kleinen absonderlichen Zufälligkeiten.
Der Valpoliceller Wein funkelte rot im Glas, und die Kerzen in den bunten Lampions brannten in der windlosen Nacht, ohne zu flackern. Wir waren uns alle dessen bewußt, daß hier noch ein vorm rauhen Zeitwind geschützter Winkel war, und kamen überein, den Tag und die Stunde zu genießen. Gebbinger bot Löw das ›Du‹ an, und die zwei tranken mit verschränkten Armen Brüderschaft.
»Weißt du, Hans, jetzt werde ich dir was zeigen«, sagte der lange Gebbinger und zog aus seiner Brusttasche ein Abzeichen der Tiches-Partei.
»Deins?« fragte ich erschrocken.
Gebbinger nickte strahlend.
»Bist du denn wahnsinnig geworden?«
»Ich mußte ja wegen dem Geschäft«, sagte Gebbinger, etwas unsicher geworden, denn er schien ein solches Echo, wie er es auch von den Gesichtern des Ehepaares Löw ablas, nicht erwartet zu haben.
Hans Löw, der blaß geworden war, sagte leise:
»Aber dann dürfen Sie – dann darfst du doch gar nicht mehr mit mir verkehren.«
Doch Gebbinger lachte schallend:
»Kinder, habt euch doch nicht so. Ich werd' mir justament das Ding ins Knopfloch stecken, wenn ich mit dem Hans durch München geh' – und ich möcht' sehen, wer ihm dann noch dumm daherkommen will.«
Wir wußten, daß Fritz zu einer Amateurboxriege gehörte und daß seine Drohung kein Spaß war. Trotzdem wurde die Stimmung mit einemmal fröstelig unbehaglich, und auch Gebbingers sehr ehrliche Erklärung, daß es vielleicht doch wichtig sei, die Partei mit guten Elementen zu ›unterwandern‹ und dadurch die Herrschaft der Minderwertigen zu brechen, tat keine rechte Wirkung. Ich sah, daß es höchste Zeit wurde, die Bowle fertigzumachen, um so über den dummen Zwischenfall hinwegzukommen.
Als ich mit meinem von Frau Roselieb entliehenen Steinguttopf über den Flur ging, hörte ich, wie draußen der Schlüssel der Wohnungstür im Schloß umgedreht wurde. Kirsten trat ein. Ich grüßte sie ohne Überschwang.
»Kann isch Ihnen behilflisch sein?« fragte sie, da sie mich Topf und Sektflasche ungeschickt tragen sah.
»Danke«, antwortete ich.
Sie ging in ihr Zimmer, ich in das meine. Als ich auf den Balkon zurückkam, flüsterte Gebbinger mir zu:
»Du hast da aber was sehr Süßes in Reichweite. Ist das die bewußte Dänische?«
Ich nickte und stellte das Bowlengefäß auf den Tisch. Fritz Gebbinger beugte sich vor und machte einen langen Hals, um in Kirstens Zimmer schauen zu können. Dabei brannte ihn die Zigarre seiner Frau, die aufgestützt in ihrem Korbstuhl saß, ins Ohrläppchen. Er tat einen kleinen Aufschrei, und drüben sauste die Jalousie vor der breiten Fenstertür herunter.
»Schade«, sagte Gebbinger …
Gerade als die Bowle kalt genug war, begann es in nordwestlicher Richtung zu wetterleuchten. Löws fingen an, sich wegen ihres weiten Heimwegs bis ins Waldfriedhofsviertel Sorgen zu machen. Ich suchte sie zu beruhigen.
»Das kommt nicht her«, sagte ich mit der gleichen schönen Überzeugung, mit der ich ein Näherkommen des politischen Unwetters geleugnet hatte. »Aber es ist zehn. Wir können ja gleich mal den Wetterbericht im Radio hören.«
Ich sprang durchs Fenster in mein Zimmer und schaltete das Gerät ein. Im selben Augenblick schmetterte eine alkoholrauhe Stimme, offenbar als Abschluß einer Rede:
»Die Juden sind unser Unglück!«
Ich stellte sofort erschrocken wieder ab.
»War das alles?« fragte Hans Löw leise, als ich auf den Balkon zurückkam. »Das war doch wohl nur die Wetterlage. Mich hätte die Prognose interessiert.«
Trotz des Sektes, den Gebbingers mitgebracht hatten, schmeckte uns die Bowle an
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