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Wir Wunderkinder

Titel: Wir Wunderkinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hartung Hugo
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Pfefferkuchenkörper.
    »Sind diese Eidechsen nicht rührende Tierchen?« fragte Wera.
    »Ja«, sagte ich, »es sind ja auch Rühreidechsen. Spiegeleidechsen sind wesentlich seltener.«
    »Hm-m«, machte Wera.
    »Goethe nannte sie Lazerten.«
    »Hm-m.«
    Wir waren träge. Und blöde. Und selig. In fünfzig Ehejahren hätten wir nicht soviel Glück zusammenaddieren können, wie wir es hier in fünfzehn Tagen fertigbrachten.
    Am sechzehnten Tag kam Post. Ich weiß nicht, warum ich an diesem Mittag schon zum Strand vorausgelaufen war. Ich spielte Hirtenknabe, schnitt auf gut sizilianische Weise Weras aristokratisches Monogramm in eine geduldige Agave und wartete auf mein baltisches Mädchen. Sie kam, setzte sich neben mich und sagte:
    »Da ist eine Karte.«
    »Leg' sie dorthin.«
    »Sie ist aus München.«
    »Trotzdem …«
    Frauen können hartnäckig sein:
    »Es ist jemand darauf abgebildet.«
    »Das ist oft so auf Karten.«
    »Aber wenn ein hübsches Mädchen drauf ist, würde es dich doch interessieren?«
    Ich nahm die Karte. Ich fuhr hoch. Ich kippte hintenüber – so unvorsichtig, daß sich ziemlich viel Kaktus in meinen Rücken bohrte. Ich fuhr wieder hoch.
    So eine Infamie! Die Karte zeigte ein Bild von Kirsten, von einem Provinzphotographen in ihrem Kattegattkaff gemacht, aber darum nicht weniger süß. Sie trug ihre weiße dänische Studentenmütze auf dem Bubenstruwwelhaar, ein weißes Kleid, wohlgeformte Beine und weiße Schuhe.
    Diesmal sagte ich: »Hm-m«, und nach einer Weile: »Hast du die Karte schon gelesen?«
    »Der Weg war so lang …«
    Ich war ein Meter achtundsiebzig Entrüstung.
    »Lies doch!«
    Ich überlas murmelnd, was Wera doch schon wissen mußte:
    »Lieber Herr Redaktor! Ich (›isch‹ las ich unwillkürlich) bin schon früher nach München zurückgekommen. Frau Roselieb läßt Dich fragen, ob Du ein Häkeleideckchen aus Deinem Zimmer mitgenommen hast. Ingvald Henriksen gibt es gar nicht (nischt!). Ich habe ihn erfunden, weil Du Silvester so fröhlich gewesen bist. Ich hoffe, jetzt bist Du auch fröhlich. Deine Kirsten.«
    »Bist du jetzt fröhlich?« fragte meine Melusine.
    »So ein Biest!« rief ich übers Ionische Meer hin.
    »Was soll auch so ein armes Mädchen machen, wenn keine ›Glocke für Hülfe‹ da ist?«
    Wera konnte wirklich ganz hübsch ironisch sein.
    »Aber du wirst doch nicht denken – .«
    »Ach, Lieber, du«, Wera sagte es mit einer zärtlichen Heiterkeit, während sie sich neben mir niederließ, »vielleicht ist's das beste für dich …«
    »Das haben meine Eltern auch immer gesagt, wenn ich etwas nicht essen mochte, zum Beispiel Zervelatwurst. Das ist das beste für dich, hieß es dann, oder: das ist gesund für dich. Solche Sprüche hasse ich seitdem!«
    Ich rauchte vor Zorn und Entrüstung. Der Ätna rauchte. Pan spielte auf der Flöte, und Grillen zirpten dazu die Oberstimme. Ihre Musik machte die Lazerten reglos. Nur ihre kleinen schwarzen Stecknadelkopfaugen starrten uns unverwandt an. Wir durften ihnen kein schlechtes Beispiel geben.
    »Ssst«, sagte Wera mit einer ausladenden Zauberstabbewegung, »ich bin Circe, die Zauberin. Jetzt gehört der verirrte Odysseus noch mir. Penelope kann warten!«
    »Sie ist nicht meine Penelope, sage ich dir.«
    »Dann wird sie's. Aber das ist jetzt ganz gleichgültig. Der Berg da oben über Taormina heißt Monte Venere. Siehst du das weiße Segelboot da draußen?«
    »Der Amerikaner Morgan kreuzt hier mit seiner Luxusjacht herum, hat gestern unser Hausdiener gesagt.«
    »Oh, ihr Traditionslosen! Das Boot der Venus kreuzt mit rosigen Segeln.«
    Das schnurrte Wera mit so wunderbar rollenden baltischen ›r's‹, daß ich ihr glauben mußte und daß ich sagte, ich verziehe ihr alles – obwohl mir's heute, nach so vielen Jahren, vorkommt, als wäre es allenfalls an ihr gewesen zu verzeihen … Wir liebten uns und hörten Glockentöne von nicht vorhandenen Türmen: äolische Glocken, die andere Küsse zu zählen verlangten, als die von ehrbaren Münchner Türmen.
    Die sizilianischen Glocken, vom afrikanischen Winde gerührt, blieben bei uns noch Tage und Wochen. Am Kyanefluß bei Syrakus lagen wir neben den Säulen eines Zeustempels inmitten wild wuchernder Rosen, Margeriten und Kornblumen.
    »Wein' mal, Wera«, sagte ich.
    »Du, ich könnt's vor Glück …«
    »Alle Kornblumen hier sind Nymphentränen. Als die schöne Nymphe Kyane um den Raub der Proserpina weinte, bekam die Kyanequelle ihr kornblumenblaues Wasser. Guck

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