Wir Wunderkinder
blühenden Blumen und den glitzernden Springbrunnen bei ihrer jeweiligen Beschäftigung zu. In meiner belastenden Verkleidung schämte ich mich vor allen gleich.
»Sag' mal«, fragte ich Kischke, der neben mir vor der Residenzmauer saß, »warum nehmen die für diese Szenen nicht ihre richtige SA?«
»Mensch, weil die doch in die zehn Jahre inzwischen alle fett jeworden sin. Sie hatten schon eenen Sturm dafir abjestellt, aber wie der ankam, war det bloß noch so'n träjet Liftchen, und nu hat die unser Regissöhr fir morjen injeteilt. Na, du wirst's ja erleben. Ibrijens, jloobe ick, der Herr Regissöhr is ooch nich so janz fir die Brider.«
Wie dem auch sein mochte, der gewaltige Szenenbeherrscher hielt uns an diesem warmen Maiennachmittag, der laut Drehbuch einen Novembertag vortäuschen sollte, ganz hübsch in Atem. Wir mußten uns ›in Reihen, fest geschlossen‹ formieren, wurden von Hilfsregisseuren hin- und hergejagt, mußten mit knallenden Stiefeln aus der Residenzstraße auf den Platz marschieren und ›O Deutschland hoch in Ehren‹ singen – wieder, immer wieder. Mal waren wir nicht forsch genug, mal purrten die Odeonsplatztauben dazwischen, die wir von ihren angestammten Futterplätzen vertrieben hatten, und einmal schlug es von der Theatinerkirche drei, obwohl es nach dem Drehbuch elf Uhr vormittags sein sollte.
Als wir alles erledigt hatten und es selber auch waren, ging es schon auf den späten Abend zu, und ich durfte aufatmend in die Komparsengarderoben der Filmstadt zurückkehren.
Mein Freund aus Brandenburg lud mich noch zu einer halben Maß Maibock in den Garten eines nahen Ausflugsrestaurants ein. Dort saßen wir allein unter alten Kastanien, weil der Abend kühl wurde und der Wind von den Bergen her wehte. Tief drunten brauste die Isar, die ihre Frühlingsschmelzwasser führte.
»Sag mal, Kumpel, is die Welt nich'n Zirkus«, sagte der redliche Mimiker nachdenklich, »da wird nu jehetzt und dotjeschlagen! Dabei sitzen iberall, in de janze Welt, Leute wie du und ick, und wollen nischt, wie ruhig ihre Arbeet machen und abends ihre Molle oder ihr ›Moaß‹ trinken, wie die Brider hier sagen. Wie bringste die Menschen bloß zur Vernunft?«
Das ausweglose philosophische Abendgespräch meines Freundes, von Flußrauschen und Sternenhimmel elegisch gefördert, klang aber zum guten Ende doch noch heiter aus.
»Morjen – Junge, Junge – ick freu' mir uff morjen«, sagte Kischke, als wir bezahlt hatten und in die Nacht hinausgingen, die vom Duft jungen Buchenlaubs und dem Geflüster verliebter Pärchen erfüllt war …
Der nächste Aufnahmetag verlief sensationell. Auf dem Filmgelände hatten fleißige Architekten einen Bräukeller in seiner stilechten architektonischen Belanglosigkeit aufgebaut, und hier sollte es nun zu einer jener berühmten ›Saalschlachten‹ kommen, in denen die Tichesleute zuerst Blut gerochen und die Spielregeln eines langen Terror-Handwerks erlernt hatten.
Der Mimiker Kischke bewies an diesem Tag, daß er von der Taktik derer, in deren Uniformen wir mehrere Drehtage lang herumlaufen mußten, einiges gelernt hatte. Er hatte in dem Komparsenhaufen etliche Zellen vertrauenswürdiger Leute gebildet. An sie gab er die Parole aus, sich bei den Proben noch getreulich an die Anweisungen des Regisseurs zu halten; dann aber, wenn es zum erstenmal ›Aufnahme‹ hieße, sollten sie einen schönen Ernst walten lassen, der eine Wiederholung der Szene ein für allemal unmöglich machen würde.
Wie mir ›der Kumpel‹ schon am Tage vorher erzählt hatte, war diesmal ein kompletter SA-Sturm für die Statisterie aufgeboten worden. Die Männer wurden in einem anderen Bau eingekleidet als wir. Sie wandten allen Eifer daran, ihre marxistischen, liberalistischen und nichtarischen Gegner mit möglichst abstoßenden Masken auszustatten, während wir – Studenten und Arbeitslose – abermals in die Hüllen siegstrahlender Kämpfer für eine garantiert tausendjährige Zukunft schlüpften. Selbst auf den Regisseur machte diese Umkehrung der Wirklichkeit einen einigermaßen verwirrenden Eindruck.
Bei den Proben verlief alles völlig normal. Es gab eine jener wüsten Keilereien, wie sie gewisse Kinogänger als ›harte Sache‹ auch heute noch lieben. In bewußter Schonung von Menschen und Material wurde auf dem Fußboden, auf Tischen und Stühlen gerungen. Maßkrüge aus Pappe sausten dezent auf Schädel nieder, Schminkstangenblut rann über marxistische Wangen, und Sanitäter
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