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Wir Wunderkinder

Titel: Wir Wunderkinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hartung Hugo
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heimliches Liebespaar auf dem Strandweg, auf dem es schon ganz still geworden war. Nur hier und da brannte noch ein Licht unter dem riedgedeckten Dach eines der alten Fischerhäuser, und in einem entfernten Restaurantgarten sang eine angenehme Stimme schwedische Bellmanlieder zur Laute.
    Wir gingen durch tiefen Sand auf den Dünenkamm und auf ihm so weit ostwärts, bis wir den Strandwald erreichten. Das Meer atmete tief – wir taten's auch. Die Luft war lau, und die von der Hitze ausgekochten Kiefernnadeln dufteten noch wie am Tage. Kirsten nestelte sich den Schleier aus dem von einem Friseur zur Ordnung gerufenen Wuschelhaar und ließ ihn wie eine Fahne hinter uns dreinwehen.
    »Eine weiße Fahne«, sagte ich. »Ich habe kapituliert.«
    »Ehrenvoll«, sagte sie, und »isch liebe disch.«
    »Ich liebe dich, Kirsten.«
    Über dem menschenleeren Waldstrand lag ein mattes Halbmond- und Sternenlicht. Von der schwedischen Steilküste blinkten Leuchtfeuer herüber. Kirsten lief zum Wasser und tauchte die Hand hinein.
    »Warm!« rief sie mir zu.
    Ich saß in meinem Frack wie ein unglücklicher Pinguin in einer Sandkuhle – auch der Sand war noch tagwarm – und sah das Weiße näherwehen.
    »Ophelias Geist«, sagte ich.
    »Ophelia muß s-tilgerescht baden gehen«, antwortete sie.
    »Aber wie?« fragte ich.
    »Aber so«, antwortete sie und forderte mich auf, die vielen weißen Knöpfchen auf ihrem Rücken zu lösen.
    »Mit dem Gürtel, mit dem Schleier …«, zitierte ich Schiller.
    Zuletzt war nur noch Kirsten da, und die sprang mit einem Jauchzer ins Meer.
    Da sprengte auch ich die eherne Hülle meines Frackhemdes und verschaffte dem schwarzen Leihprodukt aus Helsingör eine ihm in seinem wechselvollen Dasein gewiß neue Sensation. Ich hängte es an einen dürren Kiefernast, wo der ausgeleerte schwarze Herr spukhaft im Mondlicht schaukelte, ein Anblick, um Polizeialarme auszulösen.
    Doch uns allein gehörten die Sommernacht, die Sterne, der Strand, das Meer – und wir. Daß wir einander gehörten, versprachen wir uns, auf sanft bewegten Wellen treibend, noch einmal in die nassen Hände. Vom Himmel fiel eine Sternschnuppe.
    »Wünsch dir etwas«, rief meine silberglänzende Nymphe.
    Ich hatte es schon getan, weil man es vor dem Erlöschen des Himmelslichtes tun muß, wenn es in Erfüllung gehen soll. Es ist in Erfüllung gegangen: Wir haben jetzt zwei Kinder …

Es geht los
    Bei unserer Rückreise im August wölbte sich noch immer die blaue Wunderglocke des 39er Sommers über der ruhenden See. Wir sahen, wie ein finnisches Holzschiff, das mit fünf Masten und vollen weißen Segeln unseren Kurs gekreuzt hatte, westwärts am Horizont verschwand – ein schöner Traum, der sich in der Grenzenlosigkeit des Meeres auflöste.
    Bald aber hatte das Wasser Grenzen. Ein Landstreifen tauchte auf. Kein Columbusglück überkam mich.
    »Nun sind wir gleisch ssu Hause«, sagte Kirsten, die meine Gedanken erraten haben mochte.
    »Schlimm, wenn das Zuhause kein wirkliches Daheim mehr sein kann – das Mutterland kein Vaterland.«
    Und da geschah es: Schnellboote kreuzten mit hochaufschäumender Bugwelle unseren Kurs, Hetzhunde der mörderischen Jagd, die bald beginnen sollte. Grau gegen einen sich grau umziehenden Himmel lagen Kreuzer, weit vor dem Kriegshafen, vor Anker. Sie spien schwarzen Rauch aus, und ihre Flanken bebten.
    Die röhrenden Stimmen von Großlautsprechern blafften uns mit Massenheil und Massengeheul entgegen, noch ehe wir an Land gegangen waren.
    »Nun bellen sie wieder«, sagte ich zu meiner jungen Frau und nahm ihr für die bevorstehende Grenzkontrolle ihren dänischen Paß ab.
    Sie tat mir leid, weil sie ihn bald verlieren sollte. Aber Kirsten flüsterte mir noch auf der Gangway zu:
    »Wir werden es schon organisieren – ssusammen! Auch in Dänemark ist nischt jeden Tag Ferien und Hochsseit!«
    An der deutschen Küste war es drückend schwül. Ich sah mich noch einmal nach unserem Schiff um. Schlaff und lustlos hing der Danebrog am Flaggenschaft.
    Schön war nur, daß nun wieder alle Menschen meine Sprache sprachen. Doch mußte man wohl in den innersten, heimlichsten Gedanken der Besten lesen, wenn sie noch Klang, Wert und Maß ihres Ursprungs haben sollte.
    Ein kleiner Junge ging an uns vorüber. Er kam gerade aus dem Kindergarten, mochte vier Jahre alt sein und trug sein ledernes Butterbrotbeutelchen um den Hals gehängt. Gegen die plärrenden Lautsprecher sang er vor sich hin:
    »Hänschen klein
Ging

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