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Wir Wunderkinder

Titel: Wir Wunderkinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hartung Hugo
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gerade deine Koffer für Italien.«
    »Da bin ich jetzt auch wieder hergekommen!«
    »Du Glücklicher!«
    »Amilager. Und du?«
    »Lazarett in Schlesien. Von den Russen entlassen.«
    Da nun das Nötigste gesagt schien, konnten wir uns der Gegenwart zuwenden; denn daß wir beide kein Heim und keine Existenz mehr hatten, brauchten wir uns nicht zu erzählen. Wie wären wir sonst in die kleine Heimatstadt zurückgekommen, in der wir keine Angehörigen mehr besaßen.
    »Eigentlich habe ich heute Pilze suchen wollen«, sagte Andreas, der beim Sprechen kurzatmig schnaufte. »Aber meine Brillengläser sind zu schwach. Ich finde keine, oder bloß giftige. Dabei habe ich Frauen mit ganzen Körben voll Steinpilzen gesehen. Nun bring' ich wenigstens etwas für den Herd mit. Meine Frau ist eine Generalstochter aus Landshut. Dort hatte ich mein letztes Engagement.«
    Zwischen dem Reisig und der Dame seines Herzens schien mir eine unausgesprochene Alltagstragödie zu liegen.
    »Weißt du was«, sagte ich, »du kannst dein dürres Gestrüpp mit auf meinen Wagen legen.«
    »Ja?« – Andreas strahlte auf – »Ich hab' nämlich bloß ein Küchentuch zum Transport der Pilze mitgenommen.«
    Das eingeschnurrte Männchen, das von seiner Generalstochtersgattin mit dem Küchentuch ins Unterholz geschickt worden war, tat mir leid. Für mich war es überdies recht günstig, daß ich die schwer errungenen Kartoffeln mit Reisig tarnen konnte. Ich sah Andreas blicklos in die abendliche Sommerlandschaft starren.
    »Hast du mal auf Menschen geschossen?« fragte er plötzlich, beinahe flüsternd.
    »Nein, nur einmal mit dem Karabiner auf Flugzeuge. Ich war bei der Luftwaffe. Wir kriegten nachher entsetzlichen Stunk mit einem Oberleutnant, weil es eigene Maschinen waren. Außerdem flogen sie viel zu hoch.«
    »Bei uns hatten sie auch keine Zeit mehr zum Ausbilden. Aber Schrubben hab' ich gelernt und Fensterputzen.«
    »Mit Zeitungspapier?«
    Andreas nickte und sah ein wenig stolz dabei aus. Vielleicht nützten ihm solche Fähigkeiten bei der Generalstochter.
    Mich hatte Kirsten ausgelacht, als ich ihr erzählte, wie ich an einem Sonntagnachmittag als Strafdienst den großen Übungsplatz meines Barackenlagers von Abfällen – Stullenpapieren, Obstkernen und Zigarettenkippen – hatte säubern müssen. Bloß den Kippen trauerte sie nach.
    »Gut, daß das nun bei uns für immer aus ist: Kommiß, Soldatenspielen, Heldentot – alles, was man die ›große Zeit‹ genannt hat.«
    Als der Jugendfreund das sagte, bekam sein Gesicht eine gewisse Verklärung, die an den ›gasgefüllten‹ Ausdruck von einst erinnerte. Und diesmal gab ich ihm recht.
    »Nein, bloß keine ›große Zeit‹ mehr!« sagte ich. »Vielleicht haben wir wirklich durch den ganzen Dreck von Schmutz, Blut und Schuld hindurchgemußt, um als erste den irrsinnigsten Denkfehler der Menschheit zu korrigieren: den Krieg.«
    Andreas war bei meinen Worten wie in einem Krampfzustand zusammengezuckt. Er krabbelte sich hoch – ich sah, daß sein Bein ein wenig nachschleifte – und sagte schnaufend:
    »Ich glaube, es wird Zeit!«
    Ich half dem Ungeschickten, sein Reisig auf meinem Wägelchen zu verstauen, dann zogen wir es zusammen zu einem holprigen Feldweg. Die Getreidefelder waren schon abgeerntet, und das Kartoffelkraut begann zu welken. Der Weg hatte tief eingefahrene Rillen, und ich war deshalb recht froh, daß mir jemand beim Ziehen half. Später kamen wir auf die große geteerte Straße, die ständig bergab führte. Die Deichsel des kleinen Gefährts stieß in unsere Hände, und das leichte Abwärtsgehen machte uns wieder beredt.
    »Was wohl aus dem großmächtigen Tiches geworden ist?« fragte ich beiläufig.
    Meine Frage ging Andreas näher, als ich hätte vermuten können. Er schwieg einen Augenblick. Was er nachher sagte, rang er sich mühsam ab:
    »Durch ihn bin ich schuldig geworden.«
    Wie das der Schulfreund sagte, klang es ein wenig jämmerlich, aber doch auch wieder so ehrlich, daß ich ihn weiter fragen mußte.
    »Ich bin durch seine Vermittlung in die Partei eingetreten.«
    »Du?«
    Da es vollends Nacht geworden war, fuhr mein Deichselkamerad in seinem Schuldbekenntnis fort:
    »Unser widerlicher Chargenspieler, von dem ich dir erzählt habe, ist damals doch noch Intendant geworden. Er kündigte mir, und ich lag auf der Straße. Da machte ich eine Zeitlang Statisterie im Rundfunk und als Hilfsinspizient manchmal auch Geräusche: Pferdegetrappel, marschierende

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