Wir Wunderkinder
Organisationstalent von Kirsten und ihrem Sprüchlein: »Das mach' isch schon.« Sie fand denn auch in einem Eisenhändler einen Sprachschüler, dem sie englischen Unterricht gegen ein Honorar in Nägeln geben konnte. Einen Teil der Nägel tauschte sie gegen Sackleinwand ein. Für einen Teil der Sackleinwand erwarb sie aus Privathand eine Aufzieheisenbahn, die unseren spielgierigen Sohn in Jubel ausbrechen ließ. Aber blutenden Herzens entriß ihm die Mutter das Spielzeug, das nur eine Ausweichstation auf dem langen Wege war, als dessen Ziel Kirsten eine doppelschläfige Couch vorschwebte und dessen nächste Etappe in zehn handgeschriebenen Anschlägen an städtischen Alleebäumen bestand:
»Tausche fabrikneue Spieleisenbahn gegen Möbelbezugsstoff.«
Der Stoff, den wir gegen diese Lüge einhandelten, bestand zwar nicht aus Stoff, wies aber ein üppiges Blumenmuster auf, das zu orientalischen Träumen verführte. An diesem Punkt unserer Couchkomödie setzte der Umschwung ein, den man in der klassischen Dramaturgie die ›Peripetie‹ nennt. Das wichtigste Requisit zur Herstellung einer Couch waren die Sprungfedern, und die galten ebenso als sogenannter ›Engpaß‹ wie ein Ofenknie. Noch heute überkommen mich besitzheischende Lustgefühle, wenn ich in einem Warenhaus silberbronzierte Ofenknie bündelweise hängen sehe.
In jener Zeit gab uns ein Freund einen Flüstertip. In entfernt gelegenen Teilen unserer großen Wälder fänden sich manchmal noch Autowracks aus dem Kriege, deren gefederte Sitzpolster sich ausschlachten ließen.
Nun begann für uns ein schönes, fröhliches Waldwandern, bei dem ich einen Teil meiner im Kriege verlorenen Gesundheit wiederfand und unsere Kinder einen reichen botanischen und zoologischen Anschauungsunterricht empfingen. Wir sangen Volks- und Wanderlieder miteinander, fanden, je nach der Jahreszeit, Walderdbeeren, Himbeeren und Heidelbeeren – bloß nicht die verheißenen Sprungfedern. Die wenigen kläglichen Autoüberreste, die noch, farnüberwuchert, auf moosigem Waldboden lagen, waren längst ausgeplündert bis ins Letzte.
Und doch blühte uns, nahe den nördlichen Walddörfern, auf einem Abfallhaufen das Glück: Halb vergraben unter Blechdosen und allerlei Unerquicklichem lag eine uralte, zerschlissene Matratze im vollen Schmucke ihrer verrosteten Federn. Kirsten stürzte sich darauf, um sie auszuweiden. Die hervorbrechenden Urmenscheninstinkte bei meiner zivilisierten Seeländerin erschreckten mich beinahe …
An diesem Abend feierten wir eins unserer Feste, von denen noch zu reden sein wird, während das nächste bereits einen Monat später fällig war, als die blumenbunte Couch im Schutze der Dunkelheit von dem Tapezierermeister vors Haus gefahren wurde. Ihm, einem frommen, Gott und den Menschen vertrauenden Mann, hatte Kirsten dafür ein Pfund Bohnenkaffee versprochen, das ihre dänische Sippe uns demnächst durch geheimnisvolle Querverbindungen zu schicken versprach.
Dies alles lag noch nicht lange zurück, als es zu einer denkwürdigen Begegnung kam. Sie geschah an einem jener blauen Septembertage, die ich seit meiner Kindheit über alles liebe, und zu denen die wie mit einem leichten Tau überzogenen blauen Zwetschgen, der Duft reifer Äpfel, das Klappern der Dreschflegel und der erste Felderrauch gehören.
Am Morgen dieses Tages lagen wir, wie immer, im Empfangssaal unserer schloßähnlichen, hochherrschaftlichen Villa, einem Raum mit Mahagonischiebetüren, einem sechzehnflammigen Kristallkronleuchter und mit Wänden, die blauer Seidendamast überzog. Sechs bis zum Fußboden reichende, mächtige Fenster gingen auf den privaten Park hinaus, von dem uns, ebenso wie den vier anderen Flüchtlingsfamilien, ein Eckchen zur Verfügung stand. Zu unserem Parkbesitz gehörten ein Gartenstuhl, eine Fußbank, eine Tonvase und eine Zypresse, die Edith für besonders vornehm hielt.
An diesem besagten Morgen sah ich von meinem Fußbodenliegeplatz aus die dunkle Zypressenspitze in Böcklinscher Kontrastwirkung gegen südländisch blauen Himmel stehen. Ich rief zu Kirsten hinüber, um sie auf diesen aparten Stimmungsreiz aufmerksam zu machen. Sie fuhr aus wohligem Halbschlaf empor und schrie:
»Au!«
Wieder einmal mußte ich eine ihrer rückwärtigen Partien aus der Klemme befreien.
Von meinem Hantieren wurden die Kinder wach, und Ulli sauste in die Küche, um ›Büllrumps Frühstück zu sehen‹. Zu dieser Programmnummer muß erklärt werden, daß unser Hausherr, Henry W.
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