Wir Wunderkinder
Kolonnen, getretene Hunde und all so was … Später gab es keine Hörspiele mehr. Nur Marschmusik und Heimatlieder. Da hörte es wieder auf für mich.«
Armer getretener Hund Andreas! Er brauchte mir nichts mehr zu erzählen. Ich sah seinen steilen Aufstieg bis zum Stadttheater Landshut und ins Ehebett der Generalstochter vor mir. Einen Weg, erkauft durch die Gunst des Bruno Tiches.
»Ja, und nun darf ich natürlich nicht mehr spielen. Unser Komiker möchte mich gern für seine Tingeleien, und die fressen sich bei den Bauern ganz schön durch. Aber der Fragebogen –!«
Das Menschenhäutchen neben mir war ins große Getriebe der Weltgeschichte geraten. Kein Wunder, daß ihm dabei die Luft ausgegangen war.
»Tröste dich«, sagte ich und wußte um die Fragwürdigkeit solchen Trostes, »wenigstens wird sich der feiste Tiches jetzt in einem Lager den Riemen enger schnallen müssen.«
Ohne darauf zu antworten, machte Andreas einen Gedankensprung und fragte, ob ich Pakete von meinen Schwiegereltern bekäme.
»Nein«, sagte ich, »sie dürfen aus Dänemark noch nichts schicken.«
»Und wovon lebt ihr?«
»Meine Kirsten gibt Sprachstunden. Sie kann Englisch und Französisch wie ihre Muttersprache. Dänisch braucht freilich keiner.«
Während ich das erzählte, wurde ich stolz auf meine Gillelejesche. Sie hatte sich und die Kinder tapfer durchgebracht, solange ich noch in der Gefangenschaft war und sie nicht wußte, ob ich überhaupt noch lebte. Jetzt hoffte ich, ihr bald helfen zu können – nicht nur mit Kartoffel- und Eierhamstern. Das Leben fing wieder an, nach diesem elendsten, verkommensten aller Kriege. Ein neues Leben in einer erneuerten Welt.
Da Andreas lange schwieg, begann ich vor mich hinzupfeifen. Die ungeölten Räder meines Leihwägelchens quietschten dazu dissonant.
Nun kamen schon die ersten Gaslaternen am Wege, in die nicht mehr Andreas' Vater das Produkt seines Fachwissens entsandte. Ich karrte das Reisig bis vor die Tür des Klassenkameraden. Er wohnte mit der Generalstochter bei der Putzfrau seiner Eltern in Untermiete. Als ich ihm meine Adresse nannte, sagte er mit einem Unterton heimlicher Traurigkeit:
»So fein wohnst du –?«
Er bedankte sich, gab mir die Hand, und im Gehen hörte ich noch, wie er das Reisig über eine steile Holztreppe hinaufschleifte.
Ich klingelte viermal am Dienstboteneingang ›meiner‹ Villa. Dann polterte der wohlbekannte Schritt der ebenso wohlbekannten langen Beine die Stufen herunter.
»Denk' dir«, rief Kirsten mir entgegen, »isch habe heute Kartoffel gestohlen.«
»Und ich hab' welche gekauft!«
»Da machen wir ein Fest.«
Zwiebelsaucenduft stieg mir verlockend in die Nase. Aus dem Empfangssaal unserer Villa hörte ich meine Tochter Edith husten.
Blaue Zwetschentage …
Wenn Kirsten früh im Bett kleine Schreie ausstieß, geschah es nicht aus Lebensfreude. Sie schlief auf einem Patentbett, das zum Dernier cri der Jahrhundertwende gehört haben mochte. Es war ein Gelegenheitskauf, und man konnte gelegentlich ganz gut darauf schlafen, solange man nämlich sehr ruhig lag und nicht an einen der Auslösehebel geriet, welche das Bett zusammenschnellen ließen und dabei regelmäßig irgendwelche Körperteile mit einklemmten. Kirsten hatte immer irgendwo blaue und gelbe Kneifflecke, und wir sahen es als Glück an, daß damals die Strandbäder und Sommerfrischen noch nicht wieder existierten, in denen man falsche Schlüsse auf unser eheliches Zusammenleben hätte ziehen können.
Die Bettenfrage war für uns schwierig geworden, als ich aus der Gefangenschaft zurückkam; denn Kirsten wies ihrem heimgekehrten, stark reduzierten Krieger die Matratze als Ruhestätte an, auf der bisher unsere Kinder – mit den Füßen gegeneinander – geschlafen hatten. Inzwischen waren Ulli und Edith fünf und sieben Jahre alt geworden und hätten ohnedies eigener Betten bedurft. Nur, woher hätten wir sie nehmen sollen? Weder Kirsten noch ich gehörten zu den Zeitgenossen, die auf eine Todesnachricht hin sofort zu den Hinterbliebenen rannten, um nachzufragen, ob hier demnächst ein Bett verkauft würde, wobei sie manchmal noch unter der Tür mit den Sargträgern zusammenstießen. Sehr Gewitzte machten sich sogar an das Pflegepersonal des Städtischen Krankenhauses heran, um sich in scheinheiliger Besorgnis nach dem Zustand neu eingelieferter oder frisch operierter Patienten zu erkundigen.
Ich überließ mich und das Schicksal meiner Kinder dem bewährten
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