Wirbelsturm
Erikki seinen und Azadehs Ausweis durchs Fenster. Der Mann starrte die Dokumente an und reichte sie einem Jungen weiter, der lesen konnte. Die anderen warteten schweigend und stampften mit den Füßen, um sie warm zu halten. Schließlich erklärte der Junge heiser: »Er ist ein Ausländer aus einem Land, das Finnland heißt. Er kommt aus Täbris. Er ist kein Amerikaner.«
»Er sieht aber amerikanisch aus«, behauptete jemand.
»Die Frau heißt Gorgon. Sie ist mit ihm verheiratet – so steht es jedenfalls in ihren Papieren.«
»Ich bin seine Frau«, bemerkte Azadeh scharf.
»Wer hat dich gefragt?« unterbrach sie der erste Mann grob. »Du gehörst zur Familie der Gorgons. Ihr seid Landbesitzer, deine Aussprache und dein Benehmen sind hochmütig, und du bist vermutlich eine Feindin des Volkes.«
»Ich bin niemandes Feindin.«
»Halt den Mund! Frauen sollen sich gut benehmen, keusch sein, sich verhüllen und auch in einem sozialistischen Staat gehorsam sein.« Er wandte sich an Erikki. »Wo fährst du hin?«
»Was hat er gefragt, Azadeh?« fragte Erikki.
Sie übersetzte.
»Nach Teheran«, antwortete er leise. »Erklär ihm, daß wir nach Teheran fahren, Azadeh!« Er hatte sechs Gewehre und eine automatische Waffe gezählt. Die anderen Fahrzeuge schlossen den Rover ein, er konnte nicht ausbrechen. Noch nicht.
Sie übersetzte und fügte hinzu: »Mein Mann spricht nicht Persisch.«
»Woher sollen wir das wissen? Und woher sollen wir wissen, daß du verheiratet bist? Wo ist deine Heiratsurkunde?«
»Ich trage sie nicht bei mir. Daß ich verheiratet bin, steht in meinem Ausweis.«
»Das ist ein Ausweis des Schahs, er ist ungesetzlich. Wo ist dein neuer Ausweis?«
»Ein Ausweis von wem? Von wem unterschrieben?« fragte sie scharf. »Gib uns unsere Ausweise zurück und laß uns weiterfahren!«
Ihre Entschlossenheit beeindruckte den Mann, und er zögerte. »Du mußt schon verstehen, daß es viele Spione und Feinde des Volkes gibt …«
Erikkis Herz hämmerte. Weitere Männer gesellten sich zu der Gruppe, die sie umstellte. Einer von ihnen winkte die Lastwagen und Personenautos, die hinter Erikki warteten, nach vorn zur Kontrolle. Niemand hupte. Jeder war froh, wenn er an die Reihe kam. Über der haltenden Kolonne brütete schweigende Angst.
»Was ist hier los?« Ein untersetzter Mann drängte sich durch die Menge. Die anderen machten ihm ehrerbietig Platz. Er hatte eine tschechische Maschinenpistole umgehängt. Sein Gesicht war rund und unrasiert, seine Kleidung schäbig und schmutzig, seine Augen waren dunkel. Da hörte man einen Schuß, und alle schauten zur Wiese hinüber.
Ein Mann lag neben einem kleinen Personenauto auf dem Boden. Ein anderer beugte sich mit einer automatischen Waffe in der Hand über ihn. Ein dritter lehnte an dem Wagen und hatte die Hände erhoben. Plötzlich rannte er davon. Der Mann mit dem Gewehr legte an, schoß, verfehlte ihn und schoß noch einmal. Da schrie der Flüchtende auf, fiel zu Boden, wälzte sich auf den Bauch und versuchte weiterzukriechen. Der Mann mit dem Gewehr trat gemächlich zu ihm und leerte das Magazin in seinen Körper.
»Ahmed!« rief der Untersetzte. »Warum verschwendest du Kugeln, wo deine Stiefel auch genügen würden? Wer ist das?«
»SAVAK!« Durch die Menge lief zufriedenes Gemurmel.
»Dummkopf. Warum hast du ihn dann so schnell getötet? Bring mir die Papiere.«
»Diese Hurensöhne haben Papiere, in denen steht, daß sie Geschäftsleute aus Teheran sind, aber ich erkenne einen SAVAK-Mann, wenn ich ihn sehe. Willst du die falschen Papiere?«
»Nein. Zerreiß sie!« Der Untersetzte wandte sich jetzt Erikki und Azadeh zu. »So werden wir mit allen Feinden des Volkes verfahren.«
Sie antworteten nicht. Er hielt ihre Ausweise in seinen schmutzigen Händen. Und wenn er sie ebenfalls für falsch hielt? Inscha'Allah.
Der Mann musterte die Ausweise, dann starrte er zuerst Erikki und dann Azadeh an. »Du behauptest, daß du Azadeh Gorgon Yokkonen, seine Frau, bist?«
»Ja.«
»Gut.« Er steckte die Ausweise in die Tasche und zeigte auf die Wiese. »Sag ihm, daß er dort hinüberfahren soll. Wir durchsuchen euren Wagen.«
»Aber …«
»Gehorche! Sofort.« Der Untersetzte kletterte auf den Kotflügel. »Was ist das?« fragte er und zeigte auf das blaue Kreuz auf weißem Grund, das auf das Dach gemalt war.
»Die finnische Fahne«, erklärte Azadeh. »Mein Mann ist Finne.«
»Warum befindet sie sich dort oben?«
»Weil es meinem Mann so
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