Wirbelsturm
Kyabi hastete ihm in blinder Panik nach. Im gleichen Augenblick wurde die Tür aufgebrochen, fast aus den Angeln gerissen, und mehrere Männer drängten ins Zimmer. Es waren Iraner und alle trugen grüne Armbinden. Mit gezogenen Pistolen setzten sie den Flüchtenden nach. Die Treppe hinunter, drei Stufen auf einmal, Jäger und Gejagte, stolpernd, fast stürzend, hinaus auf die Straße in die Nacht, wo sie in der Menge untertauchten. Doch Rákóczy hetzte direkt in die Falle und in die Arme der Häscher. Ibrahim Kyabi zögerte nicht, änderte nur die Richtung, floh quer über die Straße, bog in eine belebte Seitengasse ein und verschwand in der Dunkelheit.
Robert Armstrong saß in einem geparkten Wagen auf der anderen Straßenseite und hatte beobachtet, wie die Männer in das Haus eingedrungen waren, wie sie Rákóczy gefaßt und Kyabi entkommen lassen hatten. Noch bevor viele Leute auf der Straße merkten, was vorging, war Rákóczy auf ein Lastauto gehievt worden. Zwei hezbollahis, besser gekleidet als üblich, kamen auf Armstrong zu. Die Leute wichen ihnen aus, beobachteten sie, ohne zu beobachten, weil sie keine Schwierigkeiten bekommen wollten. Die zwei Männer stiegen in den Wagen, Armstrong legte den Gang ein und fuhr los. Die zurückgebliebenen hezbollahis mischten sich unter die Fußgänger.
Wenige Augenblicke später war Robert Armstrong einer der Teilnehmer des abendlichen Spitzenverkehrs. Die zwei Männer streiften ihre grünen Armbänder ab und steckten sie in die Tasche. »Schade, daß wir diesen Studenten nicht erwischt haben, Robert«, sagte der ältere der beiden in tadellosem Englisch mit amerikanischem Akzent. Der glattrasierte Mann Mitte 50 war Oberst Haschemi Fazir, der stellvertretende Chef des Inneren Sicherheitsrates, in den Vereinigten Staaten ausgebildet und Angehöriger der SAVAK, bevor man die separate Geheimdienstabteilung gegründet hatte.
»Mach dir nichts draus, Haschemi«, versuchte Armstrong ihn zu beruhigen.
»Wir haben Kyabi auf Film bei den Krawallen vor der Botschaft und bei der Universität!« sagte der junge Mann im Fond. Er war Mitte 20, trug einen buschigen Schnurrbart und verzog nun sein Gesicht zu einem gemeinen Grinsen. »Morgen schnappen wir ihn uns.«
»Jetzt auf der Flucht? Das würde ich nicht empfehlen, Herr Leutnant«, sagte Armstrong. »Bleiben Sie lieber an ihm dran, beschatten Sie ihn, er wird Sie zu einem größeren Fisch führen. Er hat Sie auch zu Dimitri Yazernow geführt.«
Der Mann lachte. »Ja, das hat er.«
»Und Yazernow wird uns noch zu allerhand interessanten Leuten führen.« Haschemi zündete sich eine Zigarette an und bot das Päckchen auch Armstrong an. »Robert?«
»Danke.« Armstrong machte einen Zug und schnitt eine Grimasse. »Mein Gott, Haschemi, die sind ja furchtbar! Die bringen einen glatt um.«
»Wie es Allah gefällt.« Dann zitierte Haschemi auf Persisch: »›Wasch mich in Wein, wenn ich sterbe. Bei meinem Begräbnis sprich einen Vers, der mit Wein zu tun hat. Und wenn du mich am Tage des Gerichts finden willst, such mich im Staub vor der Tür eines Weinhändlers.‹«
»Die Zigaretten, nicht der Wein, werden dich umbringen«, bemerkte Armstrong trocken.
»Der Herr Oberst hat aus den ›Rob ā 'i ā t‹ des Omar Hayy ām zitiert«, sagte der hilfsbereite junge Mann im Fond. »Es bedeutet …«
»Er weiß, was es bedeutet, Mohammed«, unterbrach ihn Haschemi. »Mr. Armstrong spricht perfekt Persisch. Sie haben noch viel zu lernen.« Nachdenklich paffte er seine Zigarette. »Würdest du bitte kurz anhalten, Robert?« Als der Wagen stehenblieb, sagte Haschemi: »Fahren Sie in die Zentrale zurück, Mohammed, und warten Sie dort auf mich! Sehen Sie zu, daß niemand – niemand – vor mir an Yazernow herankommt. Unsere Freunde sollen nur alles vorbereiten. Ich möchte um Mitternacht anfangen.«
»Jawohl, Herr Oberst.« Der junge Mann stieg aus.
Haschemi sah ihm nach. »Jetzt könnte ich einen großen Whisky-Soda vertragen. Fahr noch ein bißchen herum, Robert!«
»Gern.« Armstrong legte den Gang ein und streifte den Oberst mit einem Blick. Er glaubte, einen gewissen Unterton gehört zu haben. »Ein Problem?«
»Viele.« Haschemi beobachtete den Verkehr und die Fußgänger. Seine Gesichtszüge waren starr. »Ich weiß nicht, wie lange wir noch operieren können, wie lange wir noch sicher sind und wem ich noch vertrauen kann.«
»Sonst fehlt dir nichts?« Armstrong lächelte trübe. »Das ist unser Berufsrisiko«, sagte
Weitere Kostenlose Bücher