Wirbelsturm
sie waren nicht fröhlicher geworden. Es gab zu viel, was ihnen Sorgen bereitete. Wieder rasselten Panzer vorbei. Wieder prasselten Maschinengewehrsalven. Der rote Schein über Jaleh breitete sich weiter aus. Der Sprechchor der fernen Menge schwoll an, und als sie die Nachspeise aßen – eine Biskuittorte mit Sirup, auch eine Lieblingsspeise McIvers –, stolperte Nogger Lane herein, einer ihrer Piloten. Seine Kleidung war zerrissen, sein Gesicht zerschlagen. Er stützte ein Mädchen. Sie war groß, hatte dunkles Haar und dunkle Augen, sie wirkte aufgelöst und geschockt und murmelte kläglich etwas auf Italienisch. Ein Ärmel ihres Mantels war beinahe völlig herausgerissen, Kleidung, Gesicht, Hände und Haar waren schmutzig, als wäre sie in den Rinnstein gefallen.
»Wir sind zwischen … zwischen die Polizei und den Pöbel geraten«, sprudelte Nogger fast unverständlich hervor. »So ein Gauner hat meinen Tank geleert, deshalb … Aber die Leute, es waren Tausende, Mac. Die Straße war eben noch ganz normal, plötzlich begannen alle zu rennen, und sie … kamen aus einer Seitengasse, und viele hatten Gewehre dabei … Sie riefen ihr verfluchtes Allah-u Akbar, Allah-u Akbar … Ich hätte nie … Dann Steine, Brandbomben, Tränengas, als Polizei und Militär eintrafen. Und Panzer. Ich habe drei gesehen und befürchtet, daß sie schießen. Da hat jemand in der Menge begonnen zu schießen, und plötzlich waren überall Gewehre … und überall Leichen. Wir sind um unser Leben gelaufen, aber eine Schar dieser Brüder hat uns entdeckt, hat ›amerikanischer Satan‹ gekreischt, uns verfolgt und uns in einer Sackgasse in die Enge getrieben. Ich habe versucht, ihnen zu erklären, daß ich Engländer bin und Paula Italienerin ist … Sie sind immer dichter an mich heran … und wenn der Mullah nicht gewesen wäre, ein großer Kerl mit schwarzem Bart und schwarzem Turban … er … dieser Kerl hat sie zurückgepfiffen, und sie haben uns tatsächlich daraufhin in Ruhe gelassen. Uns hat er beschimpft und aufgefordert, sofort abzuhauen …«
Nogger griff nach dem Whisky, den Gen ihm anbot, stürzte ihn hinunter und versuchte, zu Atem zu kommen. Ohne daß er es merkte, schlotterten seine Hände und Knie. Das Mädchen schluchzte leise vor sich hin.
»Ich habe noch nie einen solchen Alptraum erlebt«, fuhr Nogger mit bebender Stimme fort. »Die Soldaten waren lauter junge Leute, die alle eine Heidenangst hatten. Es ist zuviel für sie, Nacht um Nacht die Pöbelhaufen, die schreien und Steine werfen … Ein Molotow-Cocktail hat einen Soldaten im Gesicht getroffen, er begann zu brennen und schrie … Und dann haben uns diese Schweine in eine Ecke gedrängt und angefangen, Paula zu belästigen. Sie haben sie betatscht, an ihren Kleidern gezerrt. Vielleicht haben sie geglaubt, daß sie eine Einheimische ist … Ich bin natürlich wütend geworden, habe einen von ihnen gepackt und ihm richtig die Schnauze poliert, und wenn der Mullah nicht gewesen wäre …«
»Beruhige dich, Junge!« ermahnte ihn Pettikin besorgt, aber der Pilot sprach weiter, ohne ihn zu beachten.
»… und wenn dieser Mullah nicht gewesen wäre, der mich weggerissen hat, hätte ich den Kerl zu Brei geschlagen. Ich wollte ihm die Augen auskratzen, mein Gott, ich habe es versucht … Ich habe noch nie getötet, ich wollte es nie tun, aber heute …« Seine Hände zitterten, als er sich die blonden Haare aus der Stirn strich, seine Stimme klang jetzt schrill und hoch. »Diese Hunde, sie hatten nicht das Recht, uns anzurühren, aber sie haben Paula gepackt und … und.,.« Die Tränen begannen zu strömen, seine Lippen bewegten sich, aber er brachte keinen Ton hervor. In seinen Mundwinkeln stand Schaum. »Und … ich wollte töten.«
Pettikin beugte sich unvermittelt vor und schlug den jungen Mann mit dem Handrücken so heftig ins Gesicht, daß er auf das Sofa flog. Die anderen sprangen vor Schreck auf. Lane war einen Augenblick lang benommen, dann kam er taumelnd wieder auf die Füße, und wollte sich auf seinen Angreifer stürzen.
»Schluß jetzt, Nogger!« brüllte Pettikin.
Der Befehlston bremste den Jungen. Er starrte den Älteren mit geballten Fäusten an. »Was zum Teufel ist in dich gefahren? Du hast mir beinahe den Kiefer gebrochen«, schimpfte er wütend. Aber die Tränen waren versiegt, und sein Blick war wieder klar.
»Es tut mir leid, Junge, aber du warst dabei auszuflippen.«
»Verdammt, das ist nicht wahr«, antwortete
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