Wirbelsturm
Fleischer?«
Rasch deutete der Dorfälteste auf einen kleinen Mann in der Menge. »Abrim. Abrim ist unser Fleischer.«
»Geh und hol dir dein schärfstes Messer!« befahl ihm der Mullah. »Ihr anderen sucht Steine zusammen.«
Abrim ging, um zu tun, wie ihm geheißen. »Wie es Allah gefällt«, murmelten die anderen einander zu. »Hast du schon einmal eine Steinigung gesehen?« fragte einer, und eine sehr alte Frau antwortete: »Ja, einmal. In Täbris. Ich war noch ein kleines Mädchen.« Ihre Stimme zitterte. »Die Ehebrecherin war die Frau eines Bazaari. Ihr Liebhaber war auch ein Bazaari, und sie hackten ihm vor der Moschee den Kopf ab. Dann wurde sie von den Männern gesteinigt. Sie dauerte lange, diese Steinigung, und noch Jahre danach hörte ich ihre Schreie.«
»Ehebruch ist eine große Sünde und muß bestraft werden«, ließ sich der Kalandar vernehmen, »hundert Peitschenhiebe für den Mann, so steht's im Koran … der Mullah ist der Richter, nicht wir.«
»Aber er ist kein richtiger Mullah, und der Imam hat uns vor seinesgleichen gewarnt.«
»Der Mullah ist der Mullah, und das Gesetz ist das Gesetz«, erklärte der Kalandar dunkel. Insgeheim wollte er den Khan erniedrigt sehen und dieses Weib, das ihren Kindern neue Gedanken gelehrt hatte, vernichten. »Holt die Steine.«
Mahmud stand im Schnee. Er achtete nicht auf die Kälte, nicht auf die Dorfbewohner, nicht auf den Saboteur, der fluchend und tobend versuchte, sich aus seinen Fesseln zu befreien, und auch nicht auf die Frau, die regungslos an der Mauer lag. Als er heute morgen sehr früh gekommen war, um den Stützpunkt zu erobern, hatte er davon gehört, daß der Saboteur und sie sich in dem Dorf befanden. Das Weib von der Sauna, hatte er gedacht, das hochgeborene Balg des verfluchten Khans, der vorgibt, unser Gönner zu sein, und uns und mich verraten hat. Er steckt hinter dem Mordanschlag, der gestern abend vor der Moschee nach dem letzten Gebet gegen mich verübt wurde – eine Feuersalve aus Maschinengewehren, die viele getötet hat, aber mich nicht. Der Khan wollte mich ermorden lassen, mich, den das heilige Wort schützt, wonach der Islam zusammen mit dem Marxismus-Leninismus der einzige Weg ist, der die Welt aufwärts führt.
»Ich bin bereit«, sagte der Fleischer und fuhr mit den Fingern an seinem Messer entlang.
»Zuerst die rechte Hand«, wies Mahmud seine Männer an. »Bindet ihn oberhalb der Handgelenke fest.« Sie fesselten ihn nochmals mit Streifen der Sackleinwand vor dem Fenster, während die Dörfler sich vordrängten, um besser zu sehen. Ross sah nur das pockennarbige Gesicht über dem Tranchiermesser, sah den schmutzigen Schnurrbart, die leeren Augen, den Daumen, der zerstreut die Klinge prüfte. Doch dann richtete er seinen Blick auf Azadeh, sah, wie sie sich aus ihrer Erstarrung löste, und erinnerte sich.
»Die Handgranate«, schrie er, »Azadeh, die Handgranate!«
Sie hörte ihn deutlich und suchte in ihrer Tasche danach, während er immer wieder schrie, den Fleischer verunsicherte und die Aufmerksamkeit auf sich lenkte. Fluchend kam der Fleischer auf ihn zu und packte mit festem Griff seine rechte Hand. Das Messer erhoben, schien er zu überlegen, wo er die Sehnen des Gelenkes durchtrennen sollte, und gab Azadeh damit genügend Zeit, aufzuspringen, über den kleinen Zwischenraum zu schnellen, ihn mit einem kräftigen Stoß zu Boden zu schleudern und das Messer im Schnee landen zu lassen. Blitzschnell wandte sie sich Mahmud zu, zog den Sicherungsstift heraus und blieb, vor Erregung zitternd, stehen; ihre kleine Hand umklammerte den Bügel.
»Weg da!« kreischte sie. »Rührt ihn nicht an!«
Mahmud bewegte sich nicht. Fluchend und schreiend stoben die anderen auseinander, um sich in Sicherheit zu bringen.
»Hierher, Azadeh, schnell!« rief Ross. Trotz ihrer Benommenheit hörte sie ihn und näherte sich ihm rückwärts, wobei sie Mahmud im Auge behielt. Dann sah Ross, wie Mahmud sich umdrehte und auf einen seiner Männer zuging. Er stöhnte auf. Er wußte, was jetzt passieren würde. »Schnell, heb das Messer auf und schneide mich los«, rief er ihr zu. »Laß ja den Bügel nicht los!« Hinter ihr sah er, wie der Mullah dem Mann das Gewehr aus der Hand nahm, den Hahn spannte und sich ihnen zuwandte. Jetzt hatte sie das Messer des Fleischers aufgehoben und griff nach den Fesseln seiner rechten Hand. Er wußte, daß die Kugel sie töten oder verwunden und der Bügel davonfliegen würde. Fünf Sekunden noch, dann
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