Wirbelsturm
Vergessen für sie beide – schnell und sauber. »Ich habe dich immer geliebt, Azadeh«, wisperte er und lächelte, und sie blickte überrascht auf und erwiderte sein Lächeln.
Der Schuß fiel, und sein Herz stockte, dann noch einer und noch einer, aber sie kamen nicht von Mahmud, sondern aus dem Wald, und nun krümmte sich Mahmud brüllend im Schnee. Dann folgte eine Stimme dem Schuß: »Allah-u Akbar! Tod den Feinden Allahs! Tod allen Linken, Tod allen Feinden des Imams!«
Mit einem Wutgebrüll stürmte einer der Mudjaheddin auf den Wald zu, fiel aber unter erneutem Gewehrfeuer. Sogleich ergriffen die anderen die Flucht, und schon Sekunden später war es auf dem Dorfplatz still – bis auf das lallende Heulen Mahmuds. Der Anführer des vier Mann starken Mordkommandos der Tudeh, das ihm seit Tagesanbruch gefolgt war, erledigte ihn mit einer Feuergarbe. Anschließend zogen sich die vier so lautlos zurück, wie sie gekommen waren.
Verwirrt ließen Ross und Azadeh ihre Blicke über das leere Dorf schweifen. »Das kann doch nicht sein …«, murmelte sie, »ich glaube es nicht …«
»Halt den Bügel fest«, sagte er heiser. »Halt ja den Bügel fest. Schnell, bind mich los!«
Das Messer war sehr scharf. Ihre Hände zitterten, und es kam ihm vor, als brauchte sie eine halbe Ewigkeit. Sobald er frei war, griff er nach der Handgranate, hielt den Bügel fest und atmete tief durch. Er schwankte in die Hütte zurück, um sein Messer und seinen Karabiner wieder an sich zu nehmen. In der Tür blieb er stehen. »Azadeh, hol schnell deinen Tschador und das Bündel und komm mir nach.« Sie starrte ihn an. »Schnell!«
Sie gehorchte wie ein Automat. Die Handgranate in der Rechten, das Gewehr in der linken Hand, führte er sie aus dem Dorf in den Wald hinein. Nachdem sie eine Viertelstunde gegangen waren, blieb er stehen und horchte. Niemand folgte ihnen. Hinter ihm keuchte Azadeh. Er sah, daß sie den Tschador vergessen hatte. Ihr hellblauer Schianzug hob sich deutlich von Schnee und Bäumen ab. Sie eilten weiter. Noch einmal hundert Meter, aber alles blieb ruhig.
Keine Zeit zum Ausruhen. Da er ein heftiges Stechen in der Seite verspürte und ein starker Brechreiz ihn würgte, verlangsamte er das Tempo. Die Granate hielt er immer noch zündbereit. Azadehs Kräfte erlahmten zusehends. Er fand den Weg, der zum hinteren Teil des Stützpunkts führte. Von Verfolgern immer noch nichts zu sehen. Nahe der Anhöhe, vor der Rückseite von Erikkis Hütte blieb er stehen, um auf Azadeh zu warten. Plötzlich drehte sich ihm der Magen um, er taumelte, ging auf die Knie und erbrach sich. Schwankend erhob er sich und ging die Anhöhe hinauf, um eine bessere Deckung zu suchen. Vor Anstrengung keuchend, nach Luft japsend, kämpfte sich Azadeh an ihn heran. Völlig erschöpft ließ sie sich neben ihm in den Schnee fallen.
Unten, neben dem Hangar, stand die 206; einer der Mechaniker war gerade damit beschäftigt, sie zu waschen. Gut, dachte er, vielleicht wird sie für einen Flug fertig gemacht. Drei Bewaffnete hockten rauchend auf der nahen Veranda unter dem Vordach eines Trailers. Sonst kein Lebenszeichen auf dem gesamten Stützpunkt. Aus den Schornsteinen von Erikkis Hütte, von der Baracke der Mechaniker und des Kochhauses quoll Rauch auf. Er konnte bis zur Straße hinauf sehen. Die Sperre war noch da.
Zehn Minuten verstrichen. Die Wolken bildeten eine schmutziggraue, schneeschwere Decke. Zwei Bewaffnete gingen ins Büro; von Zeit zu Zeit sah er sie durch die Fenster. Der dritte kümmerte sich wenig um die 206. Sonst alles ruhig. Dann kam ein Mann aus dem Kochhaus, urinierte in den Schnee und ging wieder hinein. Jetzt verließ einer der Wächter das Büro und stapfte, eine M 16 über der Schulter, durch den Schnee zur Baracke der Mechaniker hinüber. Er ging hinein und kam gleich wieder heraus, gefolgt von einem großgewachsenen Europäer in Fliegerjacke und einem weiteren Mann. Ross erkannte den Piloten Nogger Lane und den anderen Mechaniker. Der Mechaniker sagte etwas zu Lane und ging wieder hinein. Der Wächter und der Pilot schlenderten zur 206 hinüber.
Das wär's also, dachte Ross, und sein Herz schlug schneller. Durch die Granate in seiner Rechten behindert, überprüfte er unbeholfen seinen Karabiner, nahm die letzten zwei Reservemagazine und die letzte Handgranate aus dem Tornister und steckte sie in seine Seitentasche.
»Ich geh jetzt runter, Azadeh«, sagte er. »Wenn ich rufe oder winke, läufst du sofort zum
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