Wirbelsturm
wieder sprechen konnte.
»Aber Hoheit, Sie hatten doch schon eine Herzattacke – Allah sei Dank, nur eine leichte«, gab der Arzt mit zitternder Stimme zu bedenken. »Niemand kann sagen, wann Sie … Ich habe keine Apparate da. Sie sollten sofort behandelt und beobachtet werden.«
»Was immer Sie brauchen, lassen Sie es herbringen. Ahmed, kümmere dich darum.«
»Jawohl, Hoheit.« Ahmed sah den Mediziner an, der nun sein Stethoskop und das Blutdruckmeßgerät in seiner altmodischen Tasche verstaute. Bei der Tür schlüpfte er in seine Schuhe und verließ das Zimmer. Najoud und Ahmed folgten ihm. Ayscha zögerte. Sie war seit zwei Jahren mit ihm verheiratet und hatte ihm einen Sohn und eine Tochter geboren. Sie kniete neben dem Khan nieder und ergriff seine Hand, aber er stieß sie zornig von sich und verwünschte sie. Ihre Angst steigerte sich.
Draußen in der Halle verhielt der Arzt seinen Schritt. Sein Gesicht war alt und runzlig, sein Haar weiß. »Gnädigste«, wandte er sich an Najoud, »er sollte ins Krankenhaus gebracht werden. Aber Täbris wäre nicht gut genug. Teheran wäre besser. Er sollte in Teheran … obwohl die Reise … sein Blutdruck ist zu hoch … schon seit Jahren zu hoch … Na ja, wie es Allah gefällt.«
»Was immer Sie brauchen, wir lassen es herkommen«, schaltete Ahmed sich ein.
»Dummkopf«, fertigte der Arzt ihn ab. »Ich kann keinen Operationssaal hier installieren, keine Apotheke und keinen aseptischen Bereich!«
»Wird er sterben?« fragte Najoud mit weitaufgerissenen Augen.
»Wenn die Zeit gekommen ist. Sein Blutdruck ist viel zu hoch. Ich bin kein Zauberer, und wir haben so wenig Medikamente. Haben Sie eine Ahnung, was den Anfall ausgelöst haben könnte – hat es vielleicht einen Streit gegeben?«
»Nein, einen Streit nicht, aber sicher war es Azadeh. Wieder war sie es, meine Stiefschwester.« Najoud rang die Hände. »Wo sie doch gestern mit diesem Saboteur weggelaufen ist …«
»Was für ein Saboteur?« erkundigte sich der Arzt überrascht.
»Dieser Saboteur, den alle suchen. Ein Feind des Iran. Aber ich bin ganz sicher, daß er sie nicht entführt hat – wie hätte er sie aus dem Palast entführen sollen? Sie war es, die Abdullah Khan so in Wut versetzt hat – seit gestern früh leben wir hier alle in Schrecken …«
Dumme Kuh! dachte Ahmed. Die Männer aus Teheran waren es, die diesen wahnsinnigen, unbeherrschten Ausbruch hervorgerufen haben. Haschemi Fazir und der Persisch sprechende Ungläubige, und was sie von meinem Herrn verlangten und was er ihnen zugestehen mußte. So eine unwichtige Kleinigkeit: ihnen einen Russen auszuliefern, einen vorgeblichen Freund, der in Wirklichkeit ein Feind ist – ist das ein Grund, sich so aufzuregen? Wie geschickt hat mein Herr alles in die Wege geleitet: Übermorgen kommt das Brandopfer über die Grenze ins Netz zurück, und die zwei Feinde aus Teheran kommen ins Netz zurück. Bald wird mein Herr eine Entscheidung treffen, und ich werde handeln. Mittlerweile sind Azadeh und ihr Saboteur sicher im Dorf eingesperrt – der Dorfälteste hat meinen Herrn ja sofort von ihrer Ankunft unterrichtet. Nur wenige Menschen sind so klug wie Abdullah Khan, und Allah wird entscheiden, wann er sterben muß, nicht dieser Hund von einem Arzt.
Die Tür am anderen Ende des langen Ganges öffnete sich. Ayscha war noch blasser geworden. »Ahmed! Seine Hoheit wünscht dich einen Augenblick zu sprechen.«
Najoud ergriff den Arzt am Arm. »Wie schlecht steht es um Seine Hoheit? Sie müssen mir die Wahrheit sagen. Ich muß es wissen.«
Der Mediziner hob bedauernd die Hände. »Ich weiß es nicht. Schon seit einem Jahr oder noch länger erwarte ich … Es war ein leichter Anfall. Der nächste könnte in einer Stunde oder in einem Jahr kommen, es könnte ein leichter, aber auch ein schwerer Anfall sein. Ich weiß es nicht!«
Panisches Entsetzen hatte Najoud befallen, als der Khan vor ein paar Stunden zusammengebrochen war. Wenn der Khan starb, war Hakim, Azadehs Bruder, sein rechtmäßiger Erbe. Najouds eigene Brüder waren schon im frühen Kindesalter gestorben. Ayschas Sohn war knapp ein Jahr alt. Hakim aber stand in Ungnade und war enterbt worden, und so würde eine Regentschaft eingesetzt werden. Mahmud, Najouds Gatte, war der älteste Schwiegersohn. Wenn der Khan nichts anderes verfügte, würde er Regent werden. Aber warum sollte er etwas anderes verfügen, fragte sie sich. Der Khan weiß, daß ich meinen Mann lenken und uns
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