Wirbelsturm
alle stark machen kann. Ayschas Sohn – pah, ein kränkliches Kind, kränklich wie die Mutter. Wie es Allah gefällt, aber Kinder können sterben. Er ist keine Gefahr, nur Hakim – Hakim ist es.
Sie erinnerte sich, wie sie den Khan aufgesucht hatte, als Azadeh aus der Schule in der Schweiz zurückgekehrt war. »Ich bringe dir schlechte Nachrichten, Vater, aber du mußt die Wahrheit wissen. Ich habe Hakim und Azadeh belauscht. Sie erzählte ihm, daß sie ein Kind erwartete, sich aber mit Hilfe eines Arztes seiner entledigt hat.«
»Was?«
»Ja. Ich habe es selbst gehört.«
»Azadeh würde so etwas … könnte so etwas nicht tun!«
»Frag sie, aber bitte sag ihr nicht, von wem du es erfahren hast. Frag sie, laß sie von einem Arzt untersuchen. Warte, das ist noch nicht alles. Gegen deinen Wunsch ist Hakim immer noch entschlossen, Pianist zu werden. Er erzählte ihr, daß er weglaufen würde, und forderte Azadeh auf, mit ihm nach Paris zu kommen. ›Dann kannst du deinen Geliebten heiraten‹, sagte er. Aber sie sagte: ›Vater wird uns zurückholen. Mit Gewalt wird er uns zurückholen. Er wird uns nie ohne seine Erlaubnis fortgehen lassen.‹ Und Hakim sagte: ›Ich werde trotzdem fortgehen. Ich werde nicht hierbleiben und mein Leben vertrödeln.‹ Und wieder sagte sie: ›Vater wird es nie erlauben.‹ Und er sagte: ›Dann wäre es besser, er würde sterben.‹ Und sie sagte: ›Das ist auch meine Meinung.‹«
»Ich … ich … das kann ich nicht glauben.«
Najoud erinnerte sich, wie hochrot er geworden war und welche Angst sie ausgestanden hatte. »Ich schwöre bei Allah, ich habe sie gehört. Dann sagte sie noch, sie müßten planen, sie würden …«
Als er sie brüllend aufforderte, ihm alles genau zu berichten, hätte sie fast den Mut verloren.
»Hakim sagte also: ›Ein wenig Gift in Halvah oder in ein Glas. Wir können einen Diener bestechen, vielleicht einen seiner Wächter, daß er ihn tötet, oder wir könnten nachts das Tor für einen Mörder offenlassen … für jeden seiner unendlich vielen Feinde gibt es zahllose Wege, das für uns zu erledigen. Alle hassen ihn. Wir müssen nur überlegen und Geduld haben.‹«
Es war ihr leichtgefallen, das Lügengespinst weiter zu weben, so daß sie bald selbst fest daran glaubte, so wie jetzt auch. Allah wird mir verzeihen, sagte sie sich zuversichtlich, wie sie es immer tat. Allah wird mir vergehen. Azadeh und Hakim haben uns, den Rest der Familie, schon immer gehaßt, wollten uns tot oder ausgestoßen sehen, das ganze Erbe für sich behalten, sie und ihre Hexe von Mutter, die Vater so viele Jahre lang in ihren Bann geschlagen hat. Ja, acht Jahre lang übte sie ihre magischen Kräfte auf ihn aus. Acht Jahre lang hieß es nur Azadeh hin und Hakim her, und wir waren Luft für ihn. Ihre Mutter, seine erste Frau, beachtete mich nicht und verheiratete mich mit diesem Tölpel von Mahmud, diesem stinkenden, jetzt auch noch impotenten, widerlichen, schnarchenden Tölpel und ruinierte so mein Leben. Ich hoffe, mein Gatte stirbt, hoffe, daß ihn die Würmer fressen, aber erst nachdem er Khan geworden ist, damit mein Sohn nach ihm Khan werden kann.
Bevor er stirbt, muß Vater Hakim loswerden. Allah erhalte ihn so lange am Leben, er muß es tun, bevor er stirbt – und auch Azadeh muß erniedrigt, ausgestoßen und vernichtet werden – besser noch, sie muß des Ehebruchs mit diesem Saboteur überführt werden, o ja, dann wäre meine Rache vollkommen.
Freitag
23. Februar 1979
43
Im Dorf Abu-Mard: 6 Uhr 14. Das Gesicht eines anderen Mahmuds, des islamisch-marxistischen Mullahs, war wutverzerrt. »Hast du mit diesem Mann geschlafen?« brüllte er sie an.
Von panischem Entsetzen befallen, kniete Azadeh vor ihm. »Sie haben kein Recht, hier hereinzuplatzen und …«
»Hast du mit diesem Mann geschlafen?«
»Ich … ich bin meinem Gatten treu«, stammelte sie. Gerade eben waren sie und Ross noch in der Hütte gewesen und hatten hastig ihr Frühstück verzehrt, guter Laune und zum Aufbruch bereit. Der Dorfälteste hatte dankbar und demütig sein Pischkesch entgegengenommen – vier Goldstücke für ihn und eines für seine Frau – und ihr geraten, gleich nach dem Essen das Dorf durch den Wald zu verlassen. Plötzlich war die Tür aufgesprungen, Fremde waren hereingestürzt, hatten ihn überwältigt und beide ins Freie gezerrt, sie dem Mullah vor die Füße geworfen und Ross zusammengeschlagen. »Ich bin treu, ich schwöre es, ich bin
Weitere Kostenlose Bücher