Wirbelsturm
schwarzem Gewand, drehte sich um und rief den Herumstehenden und den Leuten in den anderen Wagen etwas zu. Widerwillig stieg ein Fahrer aus, begrüßte ehrerbietig den Mullah, hörte ihm zu und wandte sich dann in gutem, ein wenig geschraubtem Englisch an Gavallan: »Der Mullah wünscht Sie wissen zu lassen, daß die Jugendlichen irrten, als sie Sie angriffen und damit das Gesetz gebrochen haben. Agha, Sie aber haben offensichtlich nicht das Gesetz gebrochen und sie auch nicht provoziert.«
Wieder lauschte er kurz dem Mullah und wandte sich dann abermals an Gavallan und McIver: »Er wünscht Sie wissen zu lassen, daß die Islamische Republik auf dem Boden der unwandelbaren Gesetze Allahs steht. Die Jugendlichen haben das Gesetz gebrochen, das allen untersagt, unbewaffnete Fremde anzugreifen, die friedlich ihren Geschäften nachgehen.« Der bärtige, ärmlich gekleidete ältere Mann fuhr fort: »Sie sollen mitansehen, wie das Gesetz eingehalten und der Gerechtigkeit Genüge getan wird. Die Schuldigen werden mit 50 Peitschenhieben bestraft, aber zuerst werden die Burschen Sie und alle Anwesenden um Verzeihung bitten.«
Inmitten des Lärms von der nahen Demonstration wurden die verängstigten Jungen vor McIver und Gavallan geschoben und gezerrt, wo sie auf die Knie fielen und demütig um Verzeihung baten. Dann wurden sie zur Mauer zurückgetrieben und mit Maultierpeitschen, welche die johlende Menge bereitwillig zur Verfügung stellte, gezüchtigt. Der Mullah, die beiden hezbollahis und andere, vom Mullah ausgewählte Personen taten dem Gesetz Genüge. Gnadenlos.
»Mein Gott!« murmelte Gavallan erschüttert.
»Das ist der Islam«, versetzte der Dolmetscher in scharfem Ton. »Der Islam hat ein Gesetz für alle, eine Strafe für alle Verbrechen, wobei der Schuldige unverzüglich gerichtet wird. Das Gesetz ist Allahs Gesetz, immerwährend und unantastbar, nicht so wie in Ihren korrupten Ländern, wo man den Gesetzen und der Gerechtigkeit Hohn spricht zum Nutzen von Advokaten, die sich an der Unredlichkeit, der Schändlichkeit und dem Elend anderer mästen …« Die Schmerzensschreie einiger Burschen unterbrachen ihn. »Diese Hundesöhne haben keinen Stolz«, knurrte der Mann verächtlich und ging zu seinem Wagen zurück.
Als die Bestrafung zu Ende war, ermahnte der Mullah nochmals die Burschen, entließ sie und setzte, von den hezbollahis begleitet, seinen Weg fort. Die Menge verlief sich und ließ McIver und Gavallan allein neben ihrem Wagen stehen. Ihre Angreifer von soeben waren jetzt mitleidheischende Bündel blutiger Fetzen, die sich stöhnend bemühten, wieder auf die Beine zu kommen. Gavallan trat zu einem, um ihm zu helfen, doch der Junge kroch entsetzt davon. McIver sah älter aus als zuvor.
»Ich kann nicht sagen, daß sie es nicht verdient haben«, meinte Gavallan. »Sie hätten auf uns herumtrampeln und uns ganz schön zurichten können, wenn der Mullah nicht gekommen wäre«, sagte McIver mit heiserer Stimme. Wie gut, daß Genny nicht dabei gewesen war! Brust und Rücken schmerzten ihn von den erlittenen Schlägen. Sein Blick fiel auf den Mann, der für sie gedolmetscht hatte und immer noch mit seinem Wagen im Stau steckte. Mühsam ging er durch den Schnee zu ihm. »Ich danke Ihnen für Ihre Hilfe, Agha«, rief er durch das geschlossene Seitenfenster, um den Lärm zu übertönen. Es war ein schäbiger alter Wagen, in dem noch vier andere Männer saßen. Der Mann kurbelte das Seitenfenster herunter. »Der Mullah hat nach einem Dolmetscher verlangt. Ich habe ihm geholfen, nicht Ihnen«, sagte er und kräuselte verächtlich die Lippen. »Wären Sie nicht in den Iran gekommen, hätte die widerliche Art, wie Sie materielle Werte zur Schau stellen, diese jungen Dummköpfe nicht gereizt.«
»Es tut mir leid, ich wollte nur …«
»Und wenn es da nicht Ihre ebenso widerlichen Filme und Fernsehproduktionen mit den gottlosen Banden und den aufmüpfigen Schülern gegeben hätte, die der teuflische Schah auf Geheiß seiner satanischen Herren importierte, um unsere Jugend zu verderben, würden diese armen Burschen ein anständiges Leben führen. Sie täten gut daran, unser Land zu verlassen, bevor man auch Sie bei Gesetzesübertretungen ertappt.« Er kurbelte das Fenster wieder hinauf und drückte zornig auf die Hupe.
In Locharts Wohnung: 14 Uhr 37. Ihre Fingerknöchel klopften ein kurzes Signal an die Penthouse-Tür. Sie trug einen Schleier und einen verschmutzten Tschador. Eine Folge von Klopfzeichen
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