Wirbelsturm
tiefen Schnee ins Tal hinunterzukämpfen. Mit der 212 war Täbris nur dreißig Minuten von hier, aber zu Fuß?
»Heute nacht bekommen wir noch mehr Schnee, Captain.«
Erikki sah sich um. Bayazid stand nur einen Schritt von ihm entfernt, er hatte ihn nicht kommen gehört. »Ja, noch ein paar Tage in dieser Kälte, und mein Vogel, mein Flugzeug, wird nicht mehr fliegen. Die Batterie wird tot sein und die meisten Instrumente kaputt. Ich muß die Triebwerke anlassen, um wenigstens die Batterie zu laden. Wer wird denn Lösegeld für einen Hubschrauber in den Bergen zahlen?«
Bayazid überlegte. »Wie lange müssen die Triebwerke arbeiten?«
»Zehn Minuten am Tag – das ist das absolute Minimum.«
»Das kannst du jeden Tag machen – nach Einbruch der Dunkelheit und nachdem du mich gefragt hast. Wir werden dir helfen, sie herauszuziehen – warum sagst du eigentlich immer nur ›sie‹ und nicht ›es‹ oder ›er‹?«
Erikki runzelte die Stirn. »Das weiß ich nicht. Schiffe sind immer weiblich, und das ist ein Schiff des Himmels.«
»Also gut. Wir werden dir helfen, ›sie‹ ins Freie zu ziehen, aber während ›ihre‹ Triebwerke arbeiten, werden fünf Gewehre in einem Meter Abstand von ihnen postiert werden – damit du nicht in Versuchung kommst.«
Erikki lachte. »Dann werde ich also der Versuchung widerstehen.«
»Gut.« Bayazid lächelte. Trotz seiner schlechten Zähne war er ein gutaussehender Mann.
»Wann werden Sie den Khan benachrichtigen?«
»Ein Bote ist bereits unterwegs. Bei dieser Schneelage braucht man selbst zu Pferd einen Tag, um zur Straße hinunter zu gelangen, aber von dort ist es nicht mehr weit nach Täbris. Wenn der Khan sofort zustimmt, erfahren wir es schon morgen oder vielleicht übermorgen – je nach der Schneelage.«
»Vielleicht auch nie. Wie lange werden Sie warten?«
»Sind alle Menschen aus dem fernen Norden so ungeduldig?«
Erikki reckte das Kinn hoch. »Die alten Götter waren sehr ungeduldig, wenn man sie gegen ihren Willen festhielt – und das haben sie uns vererbt.«
»Wir sind ein armes Volk, und wir führen Krieg. Wir müssen nehmen, was Allah uns gibt. Lösegeld zu erpressen ist ein alter Brauch.« Er lächelte dünn. »Von Saladin haben wir gelernt, unsere Gefangenen ritterlich zu behandeln, ganz im Gegensatz zu vielen Christen. Die Christen sind nicht für ihre Ritterlichkeit bekannt. Wir …« Seine Ohren, aber auch seine Augen waren schärfer als die des Finnen. »Da! Da unten im Tal!«
Jetzt hörte auch Erikki die Triebwerke. Er brauchte ein paar Sekunden, um den tieffliegenden, tarnfarbenen Hubschrauber auszumachen, der sich von Norden her näherte. »Ein Jakowlew. Ein sowjetischer Nahversorgungs-Jagdhubschrauber … Was machen die wohl da?«
»Die fliegen Julfa an. Diese Hundesöhne kommen und gehen, wie es ihnen beliebt.«
»Sind es viele?«
»Nicht viele. Aber schon einer ist zuviel.«
Nahe der Abzweigung bei Julfa: 18 Uhr 15. Die gewundene Waldstraße war von Schnee bedeckt. Man konnte nur wenige Karren- und Lastwagenspuren erkennen und die des alten Chevy, der unter einer Gruppe von Föhren, ein paar Meter neben der Hauptstraße, geparkt war. Durch ihre Ferngläser konnten Armstrong und Haschemi zwei Männer in warmen Mänteln auf den Vordersitzen sehen; sie hatten die Fenster heruntergekurbelt und lauschten angestrengt. »Es bleibt ihm nicht mehr viel Zeit«, brummte Armstrong. »Vielleicht kommt er gar nicht.« Von einer kleinen Anhöhe unter den Bäumen beobachteten sie seit einer halben Stunde den Landebereich. Die Wagen hatten sie unauffällig auf der Hauptstraße unter und hinter ihnen geparkt, wo auch Haschemis Leute warteten. Es war sehr still, nur ein paar Krähen krächzten heiser.
»Halleluja!« wisperte Armstrong aufgeregt. Ein Mann stieg aus und spähte in nördliche Richtung. Der Fahrer ließ den Motor an. Jetzt hörten sie den einfliegenden Helikopter, sahen ihn über die Anhöhe gleiten, sich ins Tal senken und in einer aufwirbelnden Schneewolke landen. Im Cockpit saß neben dem Piloten eine zweite Gestalt. Der Passagier, ein kleiner Mann, stieg aus und ging auf den Wagen zu. Armstrong stieß einen Fluch aus. »Erkennst du ihn, Robert?«
»Es ist nicht Suslew – Pjotr Oleg Mzytryk. Ich bin ganz sicher.« Armstrong war bitter enttäuscht.
»Gesichtsplastik?«
»Nein, nichts dergleichen. Er war ein stämmiger, vierschrötiger Bursche, so groß wie ich.« Sie sahen, wie er auf den anderen Mann zutrat und ihm etwas
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