Wirbelsturm
Heute verloren sie dann die Geduld und versuchten, ihn zu wecken.«
»Da hat ihm dann wohl einer zuviel gegeben, oder?«
»Wer weiß. Jetzt ist der arme Hund tot.«
»Das ist etwas, was mir persönlich Angst macht«, meinte der andere, und es fröstelte ihn. »Daß man zuviel gespritzt bekommt. Da kann man nichts dagegen tun. Er ist also nicht mehr aufgewacht? Hat nichts gesagt?«
»Nicht ein Wort. Das Pech war, daß er überhaupt erwischt wurde. Es war seine eigene Schuld. Er arbeitete auf eigene Rechnung.«
»War wohl einer, der alles besser zu wissen glaubte. Ein Quasselkopf. Diese Bastarde machen mehr Ärger, als sie wert sind.« Abwechselnd arbeiteten sie weiter.
Bald war die Grube voll. Schwer atmend trampelten sie die Erde flach. »Wenn dieser Armleuchter so dumm war, sich erwischen zu lassen, warum machen wir uns dann eigentlich soviel Mühe mit ihm?«
»Wenn eine Leiche nicht repatriiert werden kann, hat jeder Genosse das Recht, anständig begraben zu werden, so lautet die Vorschrift. Das ist doch hier ein russischer Friedhof, nicht wahr?«
»Ja, schon, aber hier möchte ich wirklich nicht begraben sein.« Der Mann wischte sich die Erde von den Händen, drehte sich um und verrichtete seine Notdurft auf den nächsten Grabstein.
Der größere der beiden Männer lockerte einen Grabstein. »Hilf mir mal!« Zusammen hoben sie den Stein auf und stellten ihn ans Kopfende des Grabes, das sie eben zugeschaufelt hatten.
»Gehen wir«, sagte der kleinere. »Hier stinkt's ärger als sonstwo.« Er nahm die Schaufel und stapfte auf das Loch in der Mauer zu.
In diesem Augenblick fiel der Blick seines Gefährten auf die Inschrift des versetzten Grabsteins. Er knipste die Taschenlampe an und las: »Graf Alexi Pokenow, bevollmächtigter Gesandter am Hof von Schah Nasirdu'd Din, 1830-1862.«
Das würde Yazernow gefallen, dachte er und lachte schiefmäulig.
Im Hause Bakravan, nahe dem Basar: 19 Uhr 15. Die Tür in der Mauer ging auf. »Salaam, Gnädigste.« Der Diener beobachtete Scharazad, die gutgelaunt hereinstürmte, gefolgt von Jari in den Vorhof lief, den Tschador abstreifte, ihr Haar schüttelte und mit den Fingerspitzen lockerte. »Der … Ihr Gemahl ist da, Gnädigste; er ist kurz nach Sonnenuntergang zurückgekommen.«
Einen Augenblick lang erstarrte Scharazad im Licht der Öllampe, die im schneebedeckten Vorhof flackerte.
Dann ist es also vorbei, dachte sie. Vorbei, bevor es noch begonnen hat. Fast hätte es heute begonnen. Ich war so bereit, und doch auch nicht … und jetzt, jetzt bin ich geschützt vor … vor meiner Lust? Vor meiner Liebe? Ich weiß es nicht, ich weiß es nicht, aber … morgen werde ich ihn ein letztes Mal sehen. Ich muß ihn noch einmal sehen, nur noch einmal … nur, um ihm Lebewohl zu sagen.
Tränen traten ihr in die Augen, und sie lief ins Haus, durch Zimmer und Salons, die Treppe hinauf in ihre Räume und in seine Arme. »O Tommy! Du warst so lange fort!«
»Du hast mir so gefehlt, wo bist … Weine nicht, mein Liebling! Warum weinst du denn?«
Seine Arme umschlangen sie, und sie nahm den vertrauten Öl- und Benzingeruch wahr, den seine Fliegerjacke verbreitete. Ohne ihm auch nur einen Augenblick Zeit zu lassen, stellte sie sich auf die Zehenspitzen, küßte ihn und sprudelte hervor: »Ich habe eine wunderbare Nachricht: Ich bekomme ein Kind. O ja, es ist wahr. Ich war schon beim Arzt, und morgen bekomme ich das Ergebnis des Tests, aber ich weiß es schon! O Tommy, wirst du mich heiraten, bitte, bitte, bitte!«
»Aber wir sind doch …«
»Sag es, bitte sag es!« Sie blickte auf und sah, daß er immer noch blaß war und nur ein wenig lächelte, aber das reichte ihr für den Anfang.
Und sie hörte ihn sagen: »Selbstverständlich.«
»Nein, du mußt es richtig sagen: Ich heirate dich, Scharazad Bakravan, ich heirate dich, ich heirate dich, ich heirate dich.« Und damit war alles perfekt. »Perfekt«, stieß sie hervor, schlang nun ihre Arme um ihn, stieß ihn gleich wieder fort und eilte zum Spiegel, um ihr Make-up zu erneuern. Sie setzte sich und sah Lochart im Spiegel, sein Gesicht so streng, so unsicher. »Was hast du?«
»Das Kind. Bist du sicher?«
Sie lachte. »Natürlich bin ich sicher, aber Ärzte brauchen Beweise, Ehemänner brauchen Beweise … ist das nicht wunderbar?«
»Ja, ja, das ist es.« Er legte von hinten die Hände auf ihre Schultern. »Ich liebe dich.«
Im Geist hörte sie das andere ›Ich liebe dich‹, das mit solcher Leidenschaft und
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