Wirbelsturm
sie abzublasen?
Im Elendsviertel von Jaleh: 18 Uhr 50. Das alte Vehikel hielt in einem engen Gäßchen. Ein Mann stieg aus und sah sich um. Das Gäßchen lag verlassen da; linkerhand befand sich ein joub, seit langem unter Schnee und Abfällen begraben, zur Rechten ein verfallener Platz. Der Mann klopfte auf das Dach des Autos. Die Scheinwerfer erloschen. Der Fahrer stieg aus und gesellte sich zu seinem Begleiter, der den Kofferraum geöffnet hatte. Gemeinsam trugen sie die in ein dunkles Tuch gewickelte und gebundene Leiche über den Platz.
»Warte einen Augenblick!« sagte der Fahrer auf Russisch, nahm seine Taschenlampe heraus und ließ sie kurz aufleuchten. Der Lichtstrahl fand in der Mauer die Öffnung, die sie suchten. »Gut«, murmelte der andere. Sie schlüpften durch und blieben wieder stehen, um sich zu orientieren. Sie befanden sich nun auf einem alten, halb verfallenen Friedhof. Der Lichtstrahl wanderte von Grabstein zu Grabstein – manche mit kyrillischen, andere mit lateinischen Buchstaben beschriftet –, bis er das offene, erst vor kurzem ausgehobene Grab fand. In dem Erdhaufen steckte eine Schaufel. Sie gingen hin und blieben am Rand stehen. »Können wir?« fragte der größere, der Fahrer.
»Ja.«
Sie ließen die Leiche in die Grube fallen. Der andere Mann nahm die Schaufel zur Hand und begann zu arbeiten. Der Fahrer zündete sich eine Zigarette an und warf das Streichholz achtlos in das Grab. »Vielleicht solltest du ein Gebet für ihn sprechen.«
Der andere lachte. »Marx und Lenin würden das nicht gutheißen, und auch der alte Stalin nicht.«
»Dieser Hurenbock – verfaulen soll er!«
»Aber denk doch einmal, was er alles für Mütterchen Rußland getan hat!«
»Um den Preis von 20 Millionen Menschenleben? Russische Menschenleben …«
»Um die ist es nicht schade! Dummköpfe, Unrat, Abschaum!« Der Mann schwitzte und gab jetzt dem anderen die Schaufel. »Was ist denn eigentlich los mit dir? Du bist schon den ganzen Tag sauer.«
»Ich bin nur müde. Tut mir leid.«
»Alle sind müde. Du brauchst ein paar Tage Urlaub. Melde dich doch für Al Schargas. Ich habe drei herrliche Tage dort verbracht. Wollte gar nicht mehr zurückkommen. Ich habe meine Versetzung dorthin beantragt – wir sind ja jetzt schon eine richtige Organisation und werden jeden Tag größer. Auch die Israelis haben ihre Operationen intensiviert, von der CIA ganz zu schweigen. Was war in meiner Abwesenheit hier los?«
»Aserbeidschan kommt schön langsam in Schwung. Einem Gerücht zufolge liegt Abdullah Khan im Sterben, vielleicht ist er gar schon tot.«
»Sektion 16/a?«
»Nein, Herzinfarkt. Sonst läuft alles normal. Du hast also ein paar schöne Tage verbracht?«
Der andere lachte. »Es gibt dort eine sehr entgegenkommende Sekretärin bei Intourist.« Die angenehme Erinnerung veranlaßte ihn dazu, sich zwischen den Beinen zu kratzen. »Wer ist denn überhaupt dieser arme Kerl?«
»Sein Name steht nicht auf der Liste«, antwortete der Fahrer.
»Namen stehen nie auf der Liste. Also wer war es?«
»Ein Agent namens Yazernow, Dimitri Yazernow.«
»Sagt mir nichts. Und dir?«
»Er war vom Sonderkommando Desinformation an der Universität eingesetzt. Ich habe eine Zeitlang mit ihm gearbeitet. Ein Quasselkopf, ein Studierter, vollgestopft mit ideologischem Quatsch. Wurde vom Inneren Sicherheitsrat geschnappt und ›erschöpfend‹ verhört.«
»Schweine! Sie haben ihn also umgebracht?«
»Nein.« Der Mann stützte sich auf die Schaufel, um auszuruhen. Obwohl man sie hier kaum belauschen konnte, gefiel ihm der Ort nicht. Er senkte die Stimme. »Als man ihn dort herausholte – das ist jetzt schon fast eine Woche her –, war er bewußtlos und in sehr schlechter Verfassung. Man hätte ihn nicht transportieren dürfen. Die SAVAMA holte ihn sich vom Inneren Sicherheitsrat, und der Direktor meint, die hätten ihn auch noch durch die Mangel gedreht, bevor sie ihn herausgaben, und bis zur dritten Bewußtseinsstufe alles aus ihm herausgequetscht. Er sagt, wir sollen schnell herausfinden, wer er war – ein Spion im Innendienst oder ein von oben eingeschleuster Spitzel –, was er ihnen erzählt haben könnte und wer er nun wirklich war. In unserer Datei figuriert er nur als vom Sonderkommando Desinformation an der Universität eingesetzter Agent.« Er wischte sich den Schweiß von der Stirn und fing wieder an zu schaufeln. »Unsere Leute warteten und warteten, aber er kam einfach nicht wieder zu Bewußtsein.
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