Wirbelsturm
ausräumen? Er hat nie erfahren, daß ich davon weiß. Nicht einmal seine Frau weiß davon. Nun, da er tot ist, sollte das nicht schwer sein. Am besten gehe ich noch heute abend, bevor mir diese linken Kotfresser zuvorkommen. Welche Schätze dieser Safe enthalten könnte – enthalten sollte! Geld, Papiere, Listen – mein Herr war ganz verrückt nach Listen! Soll mich doch der Teufel holen, wenn der Safe nicht auch eine Liste der anderen Gruppen enthält. Hatte mein verstorbener Herr nicht die Absicht, ein moderner al-Sabbah zu werden? Warum nicht ich statt ihm? Mit Mördern, richtigen Mördern, die den Tod nicht fürchten und ihn als Garantie für das Paradies ansehen …
»Wo hat Oberst Fazir seine Papiere aufbewahrt?«
»Papiere, Exzellenz? Wie sollte ein Mann wie ich von Papieren wissen? Ich bin nur ein Agent, und er hat mich losgeschickt – allzuoft mit einem Tritt … Es wird mir eine Freude sein, für einen richtigen Mann arbeiten zu dürfen.« Er wartete zuversichtlich. Was hätte Fazir mir jetzt wohl aufgetragen? Sicher hätte er gerächt werden wollen – und das hieße Pahmudi liquidieren, der für seinen Tod verantwortlich ist, und diesen Hund, der jetzt hinter seinem Schreibtisch sitzt. Warum auch nicht? Aber erst, nachdem ich den richtigen Safe ausgeräumt habe. »Kann ich jetzt gehen, Exzellenz? Meine Gedärme sind übervoll. Ich habe Parasiten.«
Angewidert blickte der Oberst von dem Personalbogen auf, der ihm nichts sagte. Keine Akten im Safe, nur Geld. Ein wunderbares Pischkesch für mich, dachte er, aber wo sind die Akten? Irgendwo muß er sie ja doch haben. Bei sich zu Hause? »Ja, Sie können gehen«, sagte er verdrießlich. »Aber einmal in der Woche melden Sie sich bei mir. Und denken Sie daran: Wenn Sie keine gute Arbeit leisten – wir haben nicht die Absicht, Drückeberger durchzufüttern.«
»Jawohl, Exzellenz, gewiß Exzellenz, danke, Exzellenz, ich werde mein Bestes tun für Allah und den Imam – und wann soll ich mich melden?«
»Am Tag nach dem heiligen Tag.« Unwirsch winkte der Oberst ihn fort, und Suliman schlurfte hinaus und gelobte sich, daß es den Oberst nächste Woche nicht mehr geben würde. Seine Macht reichte schließlich bereits bis Beirut und Bahrain.
Bahrain: 12 Uhr 50. In Bahrain, fast 1.000 Kilometer weiter südlich, war das Wetter sonnig und mild, Wochenendausflügler bevölkerten die Strände, vor der Küste genossen Windsurfer die frische Brise, und an den Tischen der Hotelterrasse saßen spärlich bekleidete Herren und Damen – unter ihnen Sayada Bertolin.
Sie trug ein luftiges Strandkleid über ihrem Bikini und nippte an einer Zitronenlimonade. Lässig beobachtete sie die Badegäste und die Kinder, die im seichten Wasser herumplanschten. Einer der kleinen Jungen war das Ebenbild ihres Sohnes. Ich freue mich schon darauf, wieder daheim zu sein, meinen Sohn wieder in die Arme zu schließen und – ja, ja, sogar darauf, meinen Mann wiederzusehen. So lange war ich fort von der Zivilisation, von gutem Essen und guten Gesprächen, von gutem Kaffee und Croissants und Wein. Von Zeitungen und Radio und Fernsehen und all den wunderbaren Dingen, die wir für selbstverständlich halten. Aber ich nicht. Ich habe sie immer schon zu schätzen gewußt und für eine bessere Welt und Gerechtigkeit im Nahen Osten gearbeitet.
Und jetzt? Es fröstelte sie.
Jetzt bin ich nicht nur eine Sympathisantin der PLO und ihr Kurier, sondern auch eine Geheimagentin für die Christliche Miliz im Libanon, ihre israelischen Herren und die Herren von der CIA – nachdem sie ihr befohlen hatten, nach Beirut zurückzukehren, hatte sie sie miteinander tuscheln gehört, als sie glaubten, sie wäre bereits gegangen. Zwar wußte sie noch immer keine Namen, aber genug, um ihre Zugehörigkeit herauszufinden. Diese Hunde! Christen! Verräter an Palästina! Und noch muß Teymour gerächt werden! Soll ich es meinem Mann berichten, der es anderen im Großen Rat erzählen wird? Ich wage es nicht. ›Sie‹ wissen zuviel.
Sie blickte aufs Meer hinaus. Unter den Surfern erkannte sie zu ihrer Überraschung Jean-Luc, der, elegant gegenden Wind gelehnt, auf die Küste zubrauste. In der allerletzten Sekunde drehte er sich in den Wind, sprang vom Brett ins Seichte und ließ das Segel zusammenklappen. Solche Perfektion nötigte ihr ein Lächeln ab.
Ah, Jean-Luc, wie liebst du dich doch! Aber ich gebe zu, du hattest Flair. In vielen Dingen bist du superb, als Koch, als Liebhaber … ja, aber nur
Weitere Kostenlose Bücher