Wirbelsturm
also …«
»Ich verlasse das Land nicht, ich habe keinen Grund dazu, Liebling. Und warum sollte Azadeh das Land verlassen? Für uns besteht keine Gefahr. Vater würde es bestimmt wissen. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen.« Sie sah, daß sein Weinglas beinahe leer war, stand auf, füllte es wieder und brachte es ihm. »Mir geschieht bestimmt nichts.«
»Aber ich finde, daß du außerhalb des Irans besser aufgehoben wärst.«
»Es ist wunderbar, daß du an mich denkst, Liebling, aber ich habe keinen Grund abzureisen. Ich werde morgen Vater fragen – oder du tust es.« Ein kleines Stückchen glühende Kohle fiel aus dem Kamin. Er wollte aufstehen, aber sie war schon dort. »Ich tue es. Ruhe dich nur aus, mein Liebling, du mußt müde sein. Vielleicht hast du morgen Zeit, gemeinsam mit mir Vater zu besuchen.«
Dann griff sie lächelnd nach ihrem Tschador und lief fröhlich durch das Zimmer und den Korridor in die Küche.
Beunruhigt starrte Lochart ins Feuer und sammelte Argumente, weil er ihr nichts vorschreiben wollte. Aber wenn es sein muß, werde ich mich dazu entschließen. Es gibt schon so genug Schwierigkeiten: Charlie ist verschwunden, in Kowiss herrscht das Chaos, Kyabi wurde ermordet, und Scharazad und ich befinden uns mitten im Aufruhr. Sie ist verrückt, ein solches Risiko einzugehen. Wenn ich sie verliere, sterbe ich. Gott, wer und wo Du auch bist, beschütze sie!
Das Wohnzimmer war groß. In der anderen Hälfte standen ein Tisch und Stühle, aber meist saßen sie auf dem Fußboden und lehnten sich an Polster und Kissen. Sie verfügten über fünf Schlafzimmer, drei Badezimmer und zwei Wohnzimmer. Das zweite war viel kleiner, und wenn er geschäftliche Besprechungen hatte oder wenn ihre Freundinnen oder Verwandten zu Besuch kamen, zog sie sich in dieses Wohnzimmer zurück, um nicht zu stören. Um Scharazad war immer Leben und Bewegung: Verwandte, Kinder, Kindermädchen …
Es störte ihn nie, denn sie waren eine glückliche, gesellige Familie. Er hatte mit ihrem Vater vereinbart, daß er drei Jahre und einen Tag im Iran leben würde. Dann konnte er mit Scharazad zeitweilig den Iran verlassen, falls es erforderlich war. »Bis dahin«, hatte ihr Vater freundlich gemeint, »werdet ihr sicherlich die richtige Entscheidung getroffen haben, dann werdet ihr Söhne und Töchter haben, denn obwohl meine Tochter mager, geschieden und noch kinderlos ist, glaube ich nicht, daß sie unfruchtbar ist.«
»Aber sie ist noch so jung. Vielleicht finden wir, daß es noch zu früh für Kinder ist.«
»Es ist nie zu früh«, hatte Bakravan scharf widersprochen. »Es steht ausdrücklich in den heiligen Büchern. Eine Frau braucht Kinder. Ein Heim braucht Kinder. Ohne Kinder kommt eine Frau auf müßige Gedanken.«
»Aber wenn sie und ich der Meinung sind, daß es zu früh ist?«
»Eine solche Entscheidung steht ihr nicht zu«, hatte Jared Bakravan empört geantwortet. »Es wäre ungeheuerlich, sogar eine Beleidigung, mit ihr darüber zu sprechen. Du mußt denken wie ein Iraner, oder diese Ehe wird nicht von Dauer sein. Vielleicht nicht einmal beginnen. Willst du womöglich keine Kinder?«
»O doch, natürlich, aber…«
»Gut, dann ist das erledigt.«
»Können wir uns auf folgendes einigen: Drei Jahre und einen Tag lang darf ich bestimmen, ob es zu früh ist?«
»Das ist unsinnig. Wenn du keine Kinder willst …«
»Natürlich will ich welche, Exzellenz.«
Schließlich räumte der alte Mann widerwillig ein: »Nur ein Jahr und einen Tag – aber du mußt schwören, daß du wirklich Kinder willst. Du hast nur Unsinn im Kopf, mein Sohn. Mit Allahs Hilfe wird dieser Unsinn verschwinden wie Schnee auf Wüstensand. Natürlich brauchen Frauen Kinder …«
Lochart lächelte geistesabwesend vor sich hin. Dieser unglaubliche alte Mann würde noch im Paradies mit Gott feilschen. Und warum auch nicht? Immerhin handelte es sich dabei um den nationalen Zeitvertreib der Iraner. Aber was sage ich ihm in ein paar Tagen, wenn das Jahr und ein Tag vorüber sind? Möchte ich jetzt Kinder und die damit verbundene Verantwortung auf mich nehmen? Nein, noch nicht. Doch Scharazad wünscht sich Kinder. Sie hat meine Entscheidung zwar akzeptiert und nie ein Wort gesagt, aber ich glaube nicht, daß sie sich je damit abgefunden hat.
Er hörte aus der Küche gedämpfte Stimmen – ihre und die des Dienstmädchens –, was die Ruhe um ihn nur verdeutlichte. Hier fand er den richtigen Ausgleich zu dem Lärm im Cockpit, zu
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