Wissen auf einen Blick - Philosophen
Zeit. Die sogenannten Intellektualisten um Thomas von Aquin (um 1225–1274) ordneten mit Aristoteles den Willen dem Intellekt und die Freiheit der Erkenntnis unter. Die Voluntaristen Duns Scotus (um 1266–1308) und William von Ockham (um 1285–1350) gingen davon aus, allein der Wille befähige den Menschen zu autonomem Handeln. Buridan argumentiert mit den Intellektualisten, dass das Glück des Menschen eher im intellektuellen Akt der Erkenntnis Gottes bestehe als im Willensakt der Entscheidung für Gott und sein Gesetz. Wie die Voluntaristen betont er jedoch die Rolle des Willens als selbstbestimmte Antriebskraft. In seinem Kommentar zur Psychologie (griech.
peri psyches
) des Aristoteles baut Buridan seine Überlegungen zum Zusammenspiel von Intellekt und Willen zu einer eigenen Seelenlehre aus. Die Seele und sogar die Vernunft des Menschen sei wie der Körper stofflich und sterblich. Buridan beschreibt den menschlichen Intellekt als Funktion des Körpers, während die Mehrheit der Scholastiker den Intellekt wie Platon als unsterblichen und göttlichen Seelenteil verstand. Buridans materialistische Seelenlehre hat viele Denker des späten Mittelalters beeinflusst; ihre Spuren finden sich noch zweihundert Jahre nach Buridan in den Schriften des italienischen Philosophen Pietro Pomponazzi (1462–1525).
Determinismus
Buridanus wird der handlungstheoretischen Schule des gemäßigten Determinismus zugerechnet. Deterministen (zu lat. determinare, bestimmen) leugnen die Freiheit des menschlichen Willens und behaupten, unser Handeln sei vor- bzw. fremdbestimmt. In jüngster Zeit haben Hirnforscher wie Wolf Singer (*1943) die Debatte um diese Frage neu entfacht. Weil unser Verhalten sich durch bioelektrische Vorgänge im Gehirn ankündige, bevor es uns als Entscheidung bewusst werde, seien wir nicht die Urheber unseres Handelns, so die Folgerung Singers
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Der hungrige Esel
Nicht zuletzt wegen seiner Betonung der irdischen Natur der menschlichen Seele wird Buridanus auch das das Gleichnis vom hungrigen Esel („Buridans Esel“) zugeschrieben: Der Esel sitzt in der Mitte zwischen zwei gleich großen Heuhaufen. Wegen der identischen Anreize wird er sich für keinen der Haufen entscheiden können und verhungern. Das Problem findet sich schon bei Aristoteles, der eine ähnliche Geschichte über einen Hund erzählt. Beide Versionen zielen nicht auf das Tierreich, sondern auf den Menschen und gehen davon aus, bei genauer Kenntnis der Ausgangsbedingungen unseres Handelns ließe sich unsere Entscheidung vorausberechnen. Menschen wären nichts weiter als Maschinen, die auf äußere Reize reagieren und in ihrem Verhalten festgelegten Mustern folgen. Buridanus löste das Dilemma, indem er den menschlichen Willen vom blinden Begehren der Tiere unterschied. Der Wille des Menschen ist laut Buridan nicht bloß kreatürliches Begehren, sondern selbst von intellektueller Qualität.
Der Mensch als Esel. Nicht nur in der Philosophie, sondern auch in der Literatur spielt der Esel eine wichtige Rolle als Repräsentant des menschlichen Verhaltens. So wird in William Shakespeares „Sommernachtstraum“ die Verwandlung des Menschen in einen Esel durch den Elfen Puck am armen Nicolas Bottom vollzogen. Er schafft es in dieser Gestalt, seine Angebetete zu bezirzen. Johann Heinrich Füssli (1741–1825), „Titania und Bottom“ (um 1790), Öl auf Leinwand, Tate Gallery, London
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Gott ist alles auf einmal
Nikolaus Cusanus (1401–1464)
Der spätmittelalterliche Philosoph und Theologe Nikolaus Cusanus erwählte den alttestamentarischen Patriarchen Abraham zur Symbolfigur für das Verhältnis zwischen Gott und Mensch. Seine Theologie entfaltet Cusanus daher anhand der Untersuchung der Prüfung, die Gott Abraham auferlegt.
Gott versprach dem greisen Abraham einen Sohn. Abraham glaubte ihm nicht, aber Gott hielt Wort. Doch kaum war Isaak geboren, forderte Gott ihn zurück: „Nimm Deinen Sohn, deinen einzigen, den du lieb hast, den Isaak, und gehe hin ins Land Moria und opfere ihn. Da bepackte Abraham am anderen Morgen in der Frühe seinen Esel und nahm seine beiden Knechte und seinen Sohn Isaak mit sich.“ (Genesis 22, 2-3).
Der Abraham der Philosophen
Daraus, wie die großen Geister mit den Geschichten ihrer Tradition umgehen, lässt sich viel über ihr Denken lernen, vielleicht mehr als aus ihren Lehrschriften. Duns Scotus (um 1266–1308) verstand Abrahams Geschichte als Demonstration der absoluten Macht Gottes.
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