Wissenschaft und Demokratie (edition unseld) (German Edition)
Menschen gerecht werden. Wie es scheint, ist die Bewahrung der Demokratie nicht mit der Rettung unseres Planeten vereinbar.
5.
Ist dies Platons Rache? Ich hoffe nicht, und meine Hoffnungen beruhen auf der Überlegung, daß die Demokratie ein sich entwickelndes politisches System ist – daß sie in Entwicklung begriffen sein muß . Platon hatte recht, als er sein politisches System mit einem Bildungsprogramm verknüpfte. John Dewey, der zu den größten Verfechtern der Demokratie gehört, tat das gleiche. Bildung, ernstzunehmende Bildung, muß im Mittelpunkt der Demokratien der Zukunft stehen (sofern es sie überhaupt noch geben wird), doch wie Dewey erkannte, kann Demokratisierung selbst eine Form von Bildung sein. 9 Jenseits der oberflächlichen Maschinerie der Abstimmungen und Wahlen – jenseits der »freien Diskussionen«, bei denen die Parteigänger unterschiedlicher Couleur um die Unterstützung der Bürger kämpfen – liegt das wechselseitige Aufeinandereingehen der Bürger, der Austausch der Standpunkte, die gegenseitige Anerkennung. Die Reform der Bildungssysteme der heutigen Welt ist wahrscheinlich ein wichtiger Schritt, aber sie wird zu langsam vonstatten gehen, um auf einige der Herausforderungen, denen unsere Spezies jetzt gegenübersteht, zu reagieren. Auch wenn die Wähler der kommenden Generationen mehr von den Fragen verstünden, die den Klimawandel betreffen, können wir doch nicht so lange warten. Kurzfristig gesehen, ist das, was wir dringend brauchen, die Wiederherstellung des Vertrauens in echtes Expertenwissen. Wie könnte das geschehen?
Eine Möglichkeit besteht darin, eine Form des demokratischen Diskutierens umzugestalten, die schon oft im Mittelpunkt gedeihender Volksregierungen gestanden hat: Bürger mit unterschiedlichen Betrachtungsweisen können zusammengebracht werden, so daß sie mit Vertretern der einschlägigen Bereiche der Fachforschung ins Gespräch kommen und in diesem Rahmen dazu ermuntert werden, zu einem Konsens zu gelangen. Was diese Leute zu berichten haben, kann dann einer größeren Gruppe von Bürgern helfen, sich ebenfalls dieses Verständnis der Experten anzueignen. Vertrauen kann wiederhergestellt werden, indem kleinen, repräsentativen Gruppen »ein Blick hinter die Kulissen« gewährt wird. Sobald sie wieder hervortreten aus den Kulissen, können sie andere Bevölkerungsgruppen über ihre Eindrücke unterrichten. Das ist eine erweiterte Form des Ideals der wohlgeordneten Wissenschaft , das dem Versuch dient, ein realistisches Bild des wissenschaftlichen Unterfangens mit demokratischen Werten zu verbinden. 10
In den letzten Jahrzehnten ist die Autorität der wissenschaftlichen Experten drastisch zerrüttet worden. 11 Dafür ist keine bestimmte philosophische Bewegung verantwortlich – das postmoderne Denken wird ja nicht mit dem Trinkwasser verabreicht. Ebensowenig liegt es daran, daß der schlüssige Nachweis für die Unzuverlässigkeit wissenschaftlicher Ergebnisse erbracht worden wäre. Schuld ist vielmehr erstens der auf Wissenschaftler ausgeübte Zwang, sich zu dringlichen Fragen zu äußern, ehe ein klar artikulierter Konsens gegeben ist, der in unkomplizierter Sprache vorgestellt und begründet werden kann; zweitens die Funktionsweise der »Prestigewirtschaft«, die den Verfahrensweisen wissenschaftlicher Gemeinschaften zugrunde liegt; und drittens die unvermeidliche Vermischung von wissenschaftlicher Arbeit und Werturteilen.
Wir leben in einer Welt mit zahlreichen großen Problemen. Die darauf bezogenen wissenschaftlichen Äußerungen müssen vorläufiger Art sein, was bedeutet, daß deren Erörterung häufig öffentliche Streitgespräche zwischen »Experten« mit sich bringt. Außerdem wird die begrüßenswerte Vielfalt wissenschaftlicher Perspektiven häufig durch Konkurrenz zwischen Wissenschaftlern, die um Prestige kämpfen, verstärkt. Selbst wenn ein Konsens offenbar in greifbare Nähe gerückt ist, gibt es für die Vertreter abweichender Meinungen Anreize, mit ihren Ideen vor ein fachfremdes Publikum zu treten, das überhaupt nicht dazu in der Lage ist, den Wert ihrer Aussagen zu beurteilen.
Von besonders grundlegender Bedeutung ist jedoch die zunehmende Einsicht, daß die Wissenschaftler bei der Wahl ihrer Problemstellungen, bei der Durchführung ihrer Forschung und sogar bei der Bewertung ihrer Schlußfolgerungen entscheiden müssen, ob die von ihnen erwogenen Hypothesen und die von ihnen verfertigten praktischen Werkzeuge tauglich genug
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