Witch Boy: Stadt der Geister (German Edition)
noch lange nicht da, und doch knirschte es mit jedem Schritt mehr unter seinen Füßen, und jeder Atemzug brannte in seiner Lunge. Kleine Dunstwolken verschleierten seine Sicht und immer öfter stolperte er über Wurzeln und Steine.
Schließlich verschwand der Geist durch einen Wall aus Geäst und Efeu, dessen eisbedeckte Blätter und Zweige im Mondlicht wie Diamanten funkelten.
… nicht dorthin …
Seth wandte sich mit weit aufgerissenen Augen um, doch er konnte niemanden entdecken.
Geh nicht … weiter …
„Diane? “, fragte er leise.
Du bist nicht … reit. Kehr um! … Böses liegt au … em Weg.
Ihre Stimme war sehr leise, Seth konnte sie kaum verstehen, doch er begriff genug. Gänsehaut jagte ihm über den ganzen Körper und jedes seiner Haare stellte sich auf.
„Okay“, flüsterte er und machte den ersten Schritt fort von all dem trügerisch glitzernden Blattwerk. Er trat auf einen Ast, welcher sofort mit einem lauten Knacken zerbrach.
Noch bevor er Zeit zum reagieren hatte, schossen Efeuranken aus dem Wall auf ihn zu, packten ihn um die Handgelenke, die Knöchel und die Taille. „Scheiße! “
Die Äste teilten wie ein hungriges Maul, immer mehr Schlingen wanden sich um seinen Körper. Mit unerbittlicher Kraft zogen sie ihn zur Öffnung hin, zerrten ihn hinein und hielten ihn fest, während sich hinter ihm die Wand wieder raschelnd schloss.
Vor Seths angstgeweiteten Augen tat sich ein wahrhaftiger Dom auf, gebildet aus Bäumen, Blumen, Büschen und Moos. Der ewig treue Vollmond schien auf die hundert Meter hohe Baumkronenkuppel herab und zersäbelte die Finsternis darunter mit milchigen Lichtspeeren und diffusem Silberleuchten. Nur den freihängenden Thron aus Schlingpflanzen, Hirschgeweihen und Knochen inmitten der Kathedrale konnte er nicht berühren. Eine schwarze Präsenz sog alles in sich hinein und gab nichts außer dumpfer Kälte zurück. Kein Laut entwich ihr, kein zarter Nebel zeigte an, dass sie atmete.
Der Geist, der Seth hergelockt hatte, reihte sich eine endlos erscheinende Armee von seinesgleichen ein. Sie alle starrten ihn aus leeren, nichtssagenden Gesichtern an, wie Puppen, denen jeglicher eigener Wille fehlte.
Mit einem Mal ging eine Art Welle durch alles hindurch und der Schatten hoch oben in der Luft erwachte zum Leben.
„Sieh an, wer uns ins Netz gegangen ist “, schnurrte eine tiefe, weibliche Stimme. Sie kam von überall her und vibrierte in Seths Ohren. „Ein kleiner Hexer.“ Die Form des Schattens wandelte sich. Lange Auswüchse formten sich zu haarigen Beinen und der Leib wurde dick und rund. „Ein Jammer, dass er uns sabotiert, hmmm? Er ist frisch, vielversprechend. Und so jung .“
„Wer bist du? “, fragte Seth und zerrte am Efeu, der seine Handgelenke unangenehm einschnürte. „Gibst du denen ihre Marschbefehle?“
Die Stimme lachte. Winzige Eisflocken rieselten auf Seth herab und seine Zehen wurden schleichend taub vor Kälte.
„Er weiß nichts über mich.“ Erstaunen und Belustigung schwangen durch die klirrende Luft. „Sie haben ihm nichts verraten. Und doch weiß er, wo die Quelle ist. Das perfekte Versteck, Reinheit ummantelt mit Unschuld, verborgen in Intrigen und Halbwahrheiten. Aber …“ Die schattige Präsenz stieg aus ihrem Thron empor und kletterte wie ein Nebelgespenst an kaum sichtbaren Fäden gemächlich zu Seth herab, „wir werden all diese Lagen und Kniffe durchtrennen und nur den harten Kern übrig lassen.“
Seth wurde beim Anblick der riesigen Spinne so kalt, dass er aus der Not heraus die Tür ins Jenseits herbeisehnte. Er versuchte, sich darauf zu konzentrieren und sie sich samt Licht vorzustellen, doch er fühlte sich immens blockiert.
„Verdammt noch mal, was soll der Mist?“, zischte er. Die Zähne zusammenbeißend entdeckte er immerhin den Türknauf, ein schönes, altes Stück aus Messing, dann das dunkle, gemaserte und von unzähligen Polituren glänzende Holz.
„Oooh, wie reizend! Das kleine Lämmchen hat Zähne. “ Der Schatten kam ganz nahe heran, so nahe, dass Seth gezwungen war, in die rußigen Schwaden zu blicken, wo eigentlich der Kopf hingehörte. „Drei Tage habe ich ihm gewährt, einer ist schon vorbei.“
Eine wandernde Schwade streifte Seths Wange und er übergab sich fast vor Ekel.
Komm schon , flehte er innerlich, geh auf, geh auf, geh auf! Ich will hier weg, ich will nach Hause, ich will das hier nicht mehr!
Mit der Gewalt einer Explosion flog die Tür unter der Spinne auf und ihr
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