Wittgenstein
oder kanadischer Wildlachs, das wäre bei dem Preis auch verwunderlich, aber immerhin eine ganz anständige Scheibe Zuchtlachs. Für den Rückweg nimmst du dir ein weiteres Brötchen mit. Vorn ist nichts zu sehen. Keine Schramme und kein Blut. Du spritzt das ganze Auto mit einem Schlauch ab. Dadurch wird der gröbste Schmutz weggespült und kann am wenigsten am Lack schleifen. Die eigentliche Wäsche beginnst du mit der Windschutzscheibe, einem ganz zentralen Bereich. Die Windschutzscheibe ist das A und O jeder Wagenwäsche. Bei einer verdreckten Scheibe läuft man ständig Gefahr, etwas zu übersehen. Als Berufskraftfahrer, der auch große Teile seiner Freizeit hinterm Steuer verbringt, kannst du dir Sichtbeeinträchtigung nicht leisten. Du besprühst den oftmals hartnäckigen Insektenmatsch mit Glasreiniger, lässt diesen ein paar Sekunden einwirken und wischst die Scheibe dann mit einem Baumwolllappen streifenfrei ab. Baumwolllappen eignen sich hier hervorragend, weil sie das Glas schonen. Auf deiner Scheibe wird sich auch bei direkter Sonneneinstrahlung kein störender Kratzer finden, der sich in eine kleine Sonne verwandeln und dich von der Straße ablenken könnte. Sobald die Scheibe streifenfrei sauber ist, wendest du dich dem Blech zu. Du holst ein weiteres Reinigungsmittel und den gelben Mikrofaserhandschuh aus deinem Kofferraum und beginnst die Karosserie abzureiben. Deine Bewegung dabei ist mehr Gleiten als Wischen. Die schwierigeren Stellen, der untere Bereich der Türen, die vordere Stoßstange und das Heckblech, hebst du dir bis zum Schluss auf, so dass du in der Bewegung, die sich praktisch über die gesamte Karosserie erstreckt, nicht innehalten und den Handschuh nicht ein einziges Mal absetzen musst. Ein kleines Spiel, das du immer wieder gerne spielst. Für die schwierigeren Stellen nimmst du eine Extraportion Autoshampoo und siehst später, wenn du nach einer kurzen Pause das Auto erneut abspritzt, das schaumige Dreckwasser mit Genugtuung im Abfluss verschwinden.
Das Innere des Wagens ist nur bei jeder zweiten Autowäsche mit an der Reihe. Die Rückbank wird nicht benutzt, und du vermeidest es grundsätzlich, dort etwas abzulegen. In deinem Auto findet sich kein Müll, außerdem rauchst du niemals im Wagen. Hinter den Sitzen klebt nichts, und im Fußraum liegen keine Papiertaschentücher oder ähnliche Dinge herum. Ein einziges Mal klebte seitlich am Beifahrersitz ein Kaugummi, und dafür hättest du der trampenden kleinen Ratte, die du entgegen deiner Gewohnheit mitgenommen hattest, am liebsten die Zähne ausgeschlagen. Kaugummi kauen ohne Zähne, das wäre etwas gewesen.
Du beginnst also gleich mit dem Staub, der sich immer auf alles und jeden legt. Für die Armaturen hast du einen Malerpinsel mitgebracht, mit dem du das Cockpit und die Lüftungsschlitze abstaubst. Mit der linken Hand pinselst du, in der rechten hältst du den Staubsauger, um den Staub nicht in alle Himmelsrichtungen zu verteilen. An sich würde dich mal interessieren, wo Staub herkommt. Staub ist etwas Seltsames, auf eine gewisse Art Lebendiges, gegen das man immer wieder und wieder angehen muss. Staub ist eine Motivation, ein Geschenk Gottes, genau wie der ganze Rest.
Wie die Dinge liegen, bist du an deiner Arbeitsstelle beliebt. Zumindest genauso beliebt oder unbeliebt wie die anderen. Du hältst den Firmenwagen sauber, nicht ganz so sauber wie deinen eigenen, aber doch etwas sauberer als der Kollege, mit dem du den Wagen teilst. Der ist sicherlich ein vorbildlicher Fahrer, mit einer ganz eigenen Intuition für die Bedürfnisse des Autos, scheint sich aber um den Fußraum überhaupt nicht zu kümmern. Deshalb hast du dir angewöhnt, bevor du die erste Fahrt des Tages antrittst, dein Augenmerk besonders auf den Fußraum des Wagens zu richten. In eurem Team hat jeder seine Eigenheiten, doch scheinen im Großen und Ganzen die Charaktere recht nah beieinander zu liegen. Eine gute Voraussetzung, den einen oder anderen Tick nachzusehen. Der Fußraum eines Autos ist sicherlich nicht sein wichtigster Teil. Es genügt, wenn einer darauf achtet, ihn sauber zu halten. Du arbeitest in einer Taxizentrale mit einer Belegschaft, deren Ruhe einer sommerlichen Autobahndienstfahrt zum Frankfurter Flughafen bei geringem Verkehrsaufkommen gleicht. Das Team hat sich schon vor langer Zeit aneinander gewöhnt, was bedeutet: Keiner erinnert sich mehr daran, wie es war, bevor man sich aneinander gewöhnt hat. Eine Taxizentrale wie ein vor sich hin
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