Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wittgenstein

Wittgenstein

Titel: Wittgenstein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raouf Khanfir
Vom Netzwerk:
ich keine Ahnung. Nehmen wir beispielsweise so was wie mein Sternzeichen. Also, ich bin Stier, mit manchen anderen Sternzeichen versteht sich der Stier, mit wieder anderen versteht er sich nicht. Es wäre schön, wenn an der neuen Arbeitsstelle Leute mit Sternzeichen arbeiten würden, die sich mit Stieren gut verstehen. Das liegt wahrscheinlich daran, dass Stiere harmoniebedürftig sind. Sind Stiere harmoniebedürftig?« Sie zuckt mit den Schultern. Sie ist kein Stier. Sie ist Krebs, und sie stellt sich nicht die Frage, ob Krebs und Stier miteinander harmonieren. Das ist nichts weiter, sie stellt sich einfach nur die Frage nicht.
    »Ich glaube eigentlich nicht, dass Stiere harmoniebedürftig sind«, sagt er. »Meine Geburt hat einige Zeit gedauert, länger als zwanzig Stunden. Ich schätze, ich bin eher ein gemütlicher Mensch. Also, zu aufregend sollte der Job nicht sein. Meine zukünftigen Arbeitgeber sollten sich auf eine gewisse Einarbeitungsphase einrichten. Danach stehe ich bestimmt auch für komplexere Tätigkeiten zur Verfügung. Ich hab 'ne Menge Zeit in diversen Bildungs- und Erziehungsanstalten verbracht, und ich hab bestimmt das eine oder andere gelernt. Aber mit dem Gelernten ist es ein bisschen so wie mit dem Sternzeichen, so ganz genau weiß ich nicht, was ich damit anfangen soll. Was ich damit sagen will, ist, dass nichts davon bei dem Job eine Rolle spielen muss. Ich bin für alles offen.«
    »Okay, okay, und wie sieht's mit der Bezahlung aus?«
    »Ich glaube, hier in Bad Berleburg brauche ich nicht so viel. Im Grunde ist es bei mir eher so, dass das Geld nicht die große Rolle spielt. Ich will natürlich nicht umsonst arbeiten, aber ich würde meinen zukünftigen Arbeitgeber auch nicht an den Bettelstab bringen wollen. Man würde sich sicherlich einig. Aufgrund gewisser Umstände verfüge ich über gewisse Rücklagen.«
    »Ein interessanter Aspekt. Du musst also gar nicht arbeiten?«
    »Nicht in diesem Sinne jedenfalls.«
    »Aber derjenige, der neu in eine Stadt kommt, der sich in der Kneipe nach Arbeit umsieht, in der die Jugend der Stadt verkehrt, der ist doch eher mittellos, dem gehört nichts als seine staubigen Kleider und das, was sich in seinen Taschen befindet. Sein ganzer Schatz liegt hinter seiner Stirn verborgen, und um da einen Einblick zu bekommen, braucht es schon so einiges. Da muss schon so manches passieren. Von den Schätzen hinter seiner Stirn kann er sich leider nicht ernähren. So steht's geschrieben, und so kann man's im Kino sehen, auch und gerade hier in Berleburg.«
    »Ja, ich weiß! Das sind aber die Fremden, die nur vier bis fünf Monate in der Stadt bleiben und sich eines Tages genau dieselben ungewaschenen Klamotten wieder anziehen und in irgendeine Richtung verschwinden. Ich habe nicht vor, hier nur zu überwintern und dann weiterzuziehen. Ich bleibe länger, und dafür brauche ich einen Job. Nicht, weil ich meine Brötchen verdienen muss, sondern weil ich mir vorgenommen habe, hier zu bleiben. Man könnte sagen: Ich würde gern ein Teil dieser Stadt werden.«
    »Oh, das hört sich ja spannend an. Aber wenn ich dich so anschaue, wärst du sicher nicht der schlechteste Teil.«
    »Danke.« Die beiden trinken.
    »Du bist also nicht hier, um eine alte Rechnung zu begleichen oder so was?« Sie blickt ihn an und leckt sich den Schaum von den Lippen. Er antwortet nicht und schaut auf ihren Mund.
    »Okay, okay, war nur ein Witz. Ich wollte nur wissen, ob du hier nach etwas Bestimmtem Ausschau hältst.«
    »Nein, tue ich nicht«, sagt Marco H. »Eigentlich rede ich auch nicht so gern von mir. Jetzt gerade macht es mir nichts aus, überhaupt nicht. Ich habe früher nicht viel erwartet. Sagen wir mal, jetzt erwarte ich ein bisschen mehr. Vielleicht liegt es daran. Wenn du etwas zu hören bekommen willst, musst du etwas erzählen, so läuft es doch, oder?! Bisher habe ich immer in möblierten Zimmern gewohnt. Ich bin mit zwei Taschen hier angekommen, und jetzt gehört mir ein ganzes Haus. Ein kleines Haus, aber vollständig eingerichtet, mit allem Möglichen. Ich habe sogar Nachtschränkchen da, wo ich wohne. Nein, ich halte nach nichts Bestimmtem Ausschau, ich versuche einfach nur offen zu sein, und das ist schon anstrengend genug.«
    Sie hüpft vom Barhocker und stellt sich vor ihn. Er spürt ihre Hüfte an seinen Knien. Zwischen ihren Lippen schimmern die Zähne. Sie spürt seine Knie an ihrer Hüfte, schiebt die Knie langsam auseinander und verringert die bereits kurze Distanz

Weitere Kostenlose Bücher