Witwe für ein Jahr (German Edition)
schlimmen Freund.«
Ruth sah, daß sie einen Schuh durchs halbe Zimmer befördert hatte; es war ihr peinlich. Rooie holte den Schuh zurück. Dann kniete sie sich vor den Schrank und stellte alle Schuhe wieder richtig hin, mit den Spitzen nach innen – auch den, über den Ruth gestolpert war.
»Du bist vielleicht ein komischer Vogel«, sagte die Prostituierte. Beide standen verlegen neben dem Schrank, als bewunderten sie die ordentlich aufgereihten Schuhe. »Deine fünf Minuten sind um«, fügte Rooie hinzu und zeigte auf ihre hübsche goldene Armbanduhr.
Wieder griff Ruth in ihre Tasche. Sie nahm drei 25-Gulden-Scheine aus der Brieftasche, aber Rooie stand dicht genug neben ihr, um selbst hineinsehen zu können. Flink zog sie einen 50-Gulden-Schein heraus. »Fünfzig sind genug, für weitere fünf Minuten«, sagte sie. »Heb dir die kleinen Scheine auf«, empfahl sie Ruth. »Vielleicht willst du ja wiederkommen … wenn du es dir überlegt hast.«
So schnell, daß Ruth nicht darauf gefaßt war, schob sich Rooie an sie heran und rieb schnuppernd die Nase an ihrem Hals; noch bevor Ruth reagieren konnte, faßte sie kurz mit der Hand unter eine Brust, drehte sich dann um und setzte sich wieder genau in die Mitte des Handtuchs, das ihr Bett schützte. »Schönes Parfum, aber man riecht es kaum«, meinte Rooie. »Schöne Brüste. Groß vor allem.«
Ruth, die rot geworden war, versuchte sich im Sessel niederzulassen, ohne ganz darin zu versinken. »In meiner Geschichte …«, begann sie.
»Das Problem bei deiner Geschichte ist, daß nichts passiert«, sagte Rooie. »Das Pärchen zahlt also, um zuschauen zu dürfen. Na und? Das wäre nicht das erste Mal. Und was passiert dann? Ist das die ganze Geschichte?«
»Ich bin nicht sicher, was dann passiert, aber das ist die Geschichte«, antwortete Ruth. »Die Frau mit dem schlimmen Freund wird gedemütigt. Nicht durch das, was sie mit ansieht, sondern durch ihren Freund. Sie fühlt sich durch sein Verhalten gedemütigt.«
»Das wäre nicht das erste Mal«, erklärte Rooie.
»Vielleicht onaniert der Freund, während er zusieht«, schlug Ruth vor. Rooie wußte, daß es als Frage gemeint war.
»Das wäre nicht das erste Mal«, wiederholte sie. »Aber weshalb sollte sich die Frau darüber wundern?«
Sie hatte recht. Und noch ein Problem gab es: Ruth wußte nicht, was alles in ihrer Geschichte passieren konnte, weil sie nicht genug über ihre Figuren und deren Beziehung zueinander wußte. Es geschah nicht das erste Mal, daß sie im Anfangsstadium eines Romans eine solche Entdeckung machte; nur machte sie diese Entdeckung zum erstenmal in Gegenwart einer anderen Person – noch dazu einer Fremden, einer Prostituierten.
»Weißt du, was für gewöhnlich passiert?« fragte Rooie.
»Nein, weiß ich nicht«, gestand Ruth.
»Das Zuschauen ist erst der Anfang. Vor allem bei Paaren führt das Zuschauen zu was anderem.«
»Was meinen Sie damit?«
»Wenn sie das nächste Mal kommen, wollen sie nicht zuschauen, sondern sie wollen was machen«, erklärte Rooie.
»Ich glaube nicht, daß meine Figur noch einmal herkommen würde«, meinte Ruth, zog die Möglichkeit aber in Betracht.
»Manchmal will ein Paar, nachdem es zugeschaut hat, gleich was machen, gleich danach«, sagte Rooie.
»Was denn zum Beispiel?«
»Alles mögliche. Manchmal möchte der Mann mir und der Frau zuschauen. Er möchte sehen, wie ich die Frau heiß mache. Aber meistens fange ich mit dem Mann an, und die Frau schaut zu.«
»Sie fangen mit dem Mann an …?«
»Danach kommt die Frau.«
»Ist so etwas wirklich schon vorgekommen?«
»Alles ist schon vorgekommen.«
Ruth saß im scharlachrot getönten Licht, das alle Gegenstände in dem kleinen Zimmer in einen rötlichen Schimmer tauchte. Daß das rosafarbene Handtuch auf dem Bett, auf dem Rooie saß, jetzt dunkler wirkte, lag ohne Zweifel nur an dem scharlachroten Buntglaslampenschirm. Die einzigen anderen Lichtquellen waren das gedämpfte Tageslicht, das durch die Vorhänge sickerte, und ein schwaches, auf die Eingangstür gerichtetes Deckenlicht.
Die Prostituierte beugte sich in dem schmeichelhaften Licht vor, so daß ihre Brüste jeden Moment aus den Halbschalen ihres knappen BH s zu hüpfen drohten. Während sich Ruth an den Armlehnen des Sessels festhielt, legte Rooie die Hände sanft auf ihre Hände. »Willst du nachdenken, was passiert, und dann wiederkommen?« fragte sie.
»Ja«, sagte Ruth. Sie hatte weder vorgehabt zu flüstern, noch konnte sie
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