Witwe für ein Jahr (German Edition)
oder wie selten so etwas vorkommt. Ich meine, wie oft werden Sie von einem Paar gefragt? Ich könnte mir denken, daß häufiger Männer zuschauen wollen als Paare. Und daß Frauen allein … eher selten auf Sie zukommen.«
»Da hast du recht«, antwortete Rooie. »Meistens sind es Männer, allein. Manchmal auch ein Pärchen, vielleicht ein-, zweimal im Jahr.«
»Und Frauen allein?«
»Das läßt sich schon einrichten, wenn du unbedingt willst«, sagte Rooie. »Ich mache es von Zeit zu Zeit, aber nicht oft. Die meisten Männer stört es nicht, wenn noch eine Frau zuschaut. Aber die Frauen, die zuschauen, die wollen nicht gesehen werden.«
Es war so warm und stickig in Rooies Zimmer, daß Ruth liebend gern ihre Lederjacke ausgezogen hätte. Aber in der augenblicklichen Situation wäre es zu gewagt gewesen, nur in ihrem schwarzen Seiden-T-Shirt dazusitzen. Daher öffnete sie nur den Reißverschluß ihrer Jacke, ließ sie aber an.
Rooie ging zum Wandschrank hinüber. Er hatte keine Tür, sondern nur einen Chintzvorhang mit einem Herbstlaubmuster in verschiedenen Rottönen, der an einer Holzstange hing. Wenn Rooie ihn zuzog, verdeckte er den Inhalt des Schranks – bis auf die Schuhe, die sie umdrehte, so daß sie mit den Spitzen nach außen zeigten. Es waren ein halbes Dutzend Paar Schuhe, alle mit hohen Absätzen.
»Du würdest dich einfach so hinter den Vorhang stellen, daß deine Fußspitzen herausschauen, wie bei den anderen Schuhen«, sagte Rooie. Sie schob den Vorhang auseinander und versteckte sich dahinter. Als Ruth auf Rooies Füße blickte, konnte sie die Schuhe an ihren Füßen kaum von den anderen unterscheiden; sie mußte schon nach den Knöcheln Ausschau halten, um zu erkennen, daß da jemand stand.
»Verstehe«, sagte Ruth. Sie wollte sich gern selbst in den Schrank stellen, um festzustellen, welchen Blick man von da aus auf das Bett hatte; durch den schmalen Spalt im Vorhang war es womöglich schlecht zu sehen.
Es war, als hätte Rooie ihre Gedanken erraten. Sie kam hinter dem Vorhang hervor. »Da, probier es selbst aus«, sagte sie.
Es ließ sich nicht vermeiden, daß Ruth die Prostituierte streifte, als diese aus dem Schrank schlüpfte. Das Zimmer war so klein, daß sich zwei Menschen kaum darin bewegen konnten, ohne sich zu berühren.
Ruth stellte sich zwischen zwei Paar Schuhe. Durch den schmalen Spalt im Vorhang sah sie deutlich das rosafarbene Handtuch auf dem Bett. In einem Spiegel gegenüber war auch der Schrank zu sehen; sie mußte schon genau hinschauen, um zwischen den Schuhen, die unter dem Vorhang hervorlugten, ihre eigenen Schuhe zu erkennen. Sich selbst konnte sie nicht sehen, nicht einmal die Augen, die durch den Vorhangschlitz spähten. Auch von ihrem Gesicht sah sie nichts, außer sie bewegte sich, und selbst dann nahm sie nur eine sehr vage Bewegung wahr.
Ohne den Kopf bewegen zu müssen, hatte Ruth auch das Waschbecken und das Bidet im Blick; der Dildo auf dem klinisch weißen Tablett (neben den Gleitmitteln und den Gels) war deutlich zu sehen. Nur die Sicht auf den Sessel war durch eine seiner Armlehnen und die Rückenlehne behindert.
»Wenn ich dem Freier einen blasen soll und jemand zusieht, kann ich das auch auf dem Bett tun«, erklärte Rooie. »Falls du dir darüber Gedanken machst.« Ruth stand noch keine Minute im Schrank, merkte aber, daß ihr Atem schon jetzt unregelmäßig ging und ihr Nacken bei der Berührung mit dem goldfarbenen Kleid auf dem ersten Bügel neben ihr zu jucken begann. Beim Schlucken spürte sie eine leise Beklemmung in der Kehle – die letzten Nachwehen meines Hustens, dachte sie, oder eine Erkältung, die im Anzug war. Als ein perlgraues Negligé von seinem Bügel rutschte, glaubte sie, das Herz bliebe ihr stehen und sie müßte sterben, so wie sie es sich immer vorgestellt hatte: in einem Schrank.
»Wenn du dich da drin wohl fühlst«, sagte Rooie, »mache ich die Vorhänge vorn auf und setze mich ins Fenster. Aber um diese Tageszeit kann es eine Zeitlang dauern, bis ich einen Kerl dazu kriege reinzukommen – vielleicht eine halbe Stunde, vielleicht auch länger. Dafür bekomme ich natürlich noch einmal fünfundsiebzig Gulden. Das Ganze hat schon viel Zeit in Anspruch genommen.«
Ruth stolperte über die Schuhe, als sie eilig aus dem Schrank trat. »Nein! Ich will nicht zuschauen!« rief sie. »Ich schreibe nur eine Geschichte! Sie handelt von einem Paar. Die Frau ist so alt wie ich, und ihr Freund überredet sie dazu; sie hat einen
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