Witwe für ein Jahr (German Edition)
verkauft. Seit fünf Jahren jobbte sie abends im Flying Food Circus, wo man sie – genau wie die anderen jungen Frauen, die hier arbeiteten – angestellt hatte, weil sie in einem T-Shirt gut aussah.
Die Kellnerinnen-T-Shirts im Flying Food Circus lagen eng an und waren tief ausgeschnitten; unmittelbar unter dem Ausschnitt befand sich ein Hamburger besonderer Art: Er hatte Flügel, die sich über die Brüste der Kellnerinnen breiteten. Als ihre Mitbewohnerinnen die junge Frau fanden, hatte sie nichts anderes an: nur das enganliegende, tief ausgeschnittene T-Shirt mit dem geflügelten Hamburger. Dieses T-Shirt war ihr erst angezogen worden, als sie schon tot war, denn sie hatte vierzehn Stichwunden in der Brust, aber ihr T-Shirt wies kein einziges Loch auf.
Keine der beiden Mitbewohnerinnen glaubte, daß die Verkäuferin zu der Zeit »mit jemandem gegangen« war. Aber es war auch niemand in die Wohnung eingebrochen, sondern die junge Frau hatte offenbar jemanden hereingelassen. Sie hatte dem Betreffenden ein Glas Wein angeboten. Auf dem Küchentisch standen zwei volle Gläser Wein, beide ohne Lippenspuren, und die einzigen Fingerabdrücke stammten von ihr selbst. In den Stichwunden befanden sich keinerlei Textilfasern, was bedeutete, daß sie nackt gewesen war, als sie erstochen wurde. Entweder war sie nackt gewesen, als sie ihren Mörder in die Wohnung ließ – in dem Fall mußte es jemand gewesen sein, den sie ziemlich gut kannte –, oder sie mußte dazu gebracht worden sein, sich auszuziehen, ohne daß es zu einem Kampf kam – möglicherweise mit vorgehaltenem Messer. Wenn sie vergewaltigt worden war, dann ohne daß sie erkennbaren Widerstand geleistet hätte – wahrscheinlich auch mit vorgehaltenem Messer; oder sie hatte ihr Einverständnis zum Sex gegeben, was weniger wahrscheinlich erschien. So oder so, sie hatte kurz vor ihrer Ermordung Verkehr gehabt.
Der Täter, wer immer es war, hatte kein Kondom benutzt. Die Mitbewohnerinnen des ermordeten Mädchens sagten der Polizistin, die als erste mit ihnen sprach, ihre Freundin habe immer ein Pessar benutzt. Diesmal hatte sie es nicht benutzt, ein weiteres Indiz dafür, daß sie vergewaltigt worden war. Und das T-Shirt mit dem fliegenden Hamburger deutete auf einen Täter hin, der sie aus dem Flying Food Circus kannte, und nicht auf jemanden, der sie im Eaton Centre oder in der BH -Bar kennengelernt hatte. Schließlich hatte der Mörder die Verkäuferin nicht erstochen und ihr dann einen BH angezogen.
Die beiden Kriminalbeamten, die die Ermittlungen in diesem Fall führten, arbeiteten noch nicht lange zusammen. Der Mann, Staff Sergeant Michael Cahill, war von der Sonderkommission zum Morddezernat übergewechselt. Obwohl es Cahill dort gefiel, war er im Grunde seines Herzens ein SoKo-Mann, ein introvertierter Mensch, dem es mehr entsprach, Gegenstände zu untersuchen, als sich mit Menschen zu beschäftigen. Er suchte lieber nach Haaren auf dem Teppich oder nach Spermaflecken auf einem Kissenüberzug, als daß er Leute befragte.
Cahills Partner, eine Frau, ergänzte ihn ausgezeichnet. Sie hatte als Polizistin in Uniform angefangen; ihr schulterlanges, kastanienbraunes Haar, das inzwischen grau geworden war, hatte sie damals unter ihre Mütze gestopft. Detective Sergeant Margaret McDermid hatte ein Talent dafür, mit Leuten zu reden und sie auszuhorchen; sie war wie ein Staubsauger, wenn es darum ging, ihnen die Würmer aus der Nase zu ziehen.
Staff Sergeant Cahill war derjenige, der in einer Falte des Duschvorhangs ein angetrocknetes Blutrinnsal entdeckte. Er schloß daraus, daß sich der Mörder die Zeit genommen hatte, in aller Ruhe zu duschen, nachdem er die Verkäuferin ermordet und ihr das T-Shirt mit dem geflügelten Hamburger übergestreift hatte. Auch in der Seifenschale entdeckte er einen Blutfleck, einen verschmierten Abdruck, den der rechte Handballen des Mörders hinterlassen hatte.
Detective Sergeant Margaret McDermid sprach mit den Mitbewohnerinnen des Opfers. Sie konzentrierte sich auf den Flying Food Circus; das hätte an ihrer Stelle jeder getan. Sie war ziemlich sicher, daß sich der Hauptverdächtige als Mann entpuppen würde, der ein Faible für Kellnerinnen in diesen geflügelten T-Shirts hatte – oder zumindest für eine von ihnen. Vielleicht hatte er mit dem toten Mädchen zusammengearbeitet oder war Stammkunde, vielleicht auch ein neuer Freund. Jedenfalls hatte die ermordete Verkäuferin ihn nicht so gut gekannt, wie sie sich
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