Witwe für ein Jahr (German Edition)
ein dicker, verdutzt dreinschauender Mann mit kräftigem Händedruck und einer dröhnenden Baritonstimme, die durch das ganze Erdgeschoß hallte und das Geschirr auf dem Tisch im Eßzimmer leise scheppern ließ. Conchita hatte bereits für das Thanksgiving-Dinner gedeckt.
Eduardo war der Brautführer. Eddie stand Harry als best man zur Seite. Hannah war Ruths Brautjungfer, nun schon zum zweitenmal. Bei Ruths erster Hochzeit hatte Eddie die Braut zum Altar geführt; er war erleichtert, daß ihm das diesmal erspart blieb. Er machte lieber den best man; obwohl er Harry noch keine vier Wochen kannte, hatte er ihn ins Herz geschlossen. Hannah mochte Harry auch sehr gern, aber es fiel ihr noch immer schwer, ihn anzusehen.
Harry hatte ein Gedicht ausgewählt, das er vorlesen wollte. Ohne zu wissen, daß Allan Eddie dazu auserkoren hatte, bei seiner Trauerfeier ein Yeats-Gedicht zu lesen, hatte Harry für seine Hochzeit mit Ruth ebenfalls ein Gedicht von Yeats ausgesucht. Obwohl es Ruth, Hannah und Eddie die Tränen in die Augen trieb, liebte Ruth Harry dafür nur um so mehr. Es war das Gedicht über das »Armsein«, was Harry (verglichen mit Ruth) ohne Zweifel war; und er las es mit jener eindringlichen Unnachgiebigkeit, mit der ein blutjunger Polizist einem Verbrecher seine Rechte vorlesen mochte.
Das Gedicht hieß ›Er wünscht sich die Tücher des Himmels‹, und während Harry es vortrug, hielten sich Eduardo und Conchita bei der Hand – als würden sie noch einmal heiraten.
Hätt ich die reichgestickten Himmelstücher
Gewirkt aus goldenem und silbernem Licht,
Die blauen und die matten und die dunklen Tücher
Von Nacht und Licht und halbem Licht,
Ich breitete die Tücher dir zu Füßen:
Doch weil ich arm bin, hab ich nur die Träume;
Die Träume breit ich aus vor deinen Füßen:
Tritt leicht darauf, du trittst auf meine Träume.
Graham war der Ringträger, aber wie sich herausstellte, hatte er Ring gräber verstanden. Und als es so weit war, daß er die Ringe überreichen sollte, war er empört, weil ein wichtiger Teil des Hochzeitsrituals ausgelassen worden war. Wann sollte er jetzt die Ringe vergraben und wo? Da er ganz unglücklich war, weil er glaubte, die Sache mit den Ringen sei verpfuscht worden, erlaubte Ruth ihm nach der Zeremonie, ihre beiden Ringe am Fuß der hohen Ligusterhecke neben dem Swimmingpool zu vergraben. Harry merkte sich die Stelle genau, um sie Graham nach Ablauf einer dem Anlaß angemessenen Frist zeigen zu können und ihn die Ringe wieder ausgraben zu lassen.
Abgesehen davon verlief Ruths zweite Hochzeit ohne Zwischenfall. Nur Hannah bemerkte, daß weder Ruth noch Eddie Ausschau nach Ruths Mutter hielten. Falls sie doch an Marion dachten, ließen sie es sich nicht anmerken. Hannah dachte nur selten an Marion; aber sie hatte Ruths Mutter ja auch nie kennengelernt.
Von dem Thanksgiving-Truthahn, den Ruth und Harry aus Vermont mitgebracht hatten, wäre außer Ruth, Harry, Hannah und Eddie noch eine ganze Familie satt geworden; Ruth gab Eduardo und Conchita die Hälfte des übriggebliebenen Fleisches mit nach Hause. Graham, der dem Truthahn skeptisch gegenüberstand, wollte lieber ein überbackenes Käsesandwich.
Im Verlauf des ausgedehnten Abendessens erkundigte sich Hannah beiläufig, wieviel Ruth für das Haus in Sagaponack haben wollte. Die Summe war so horrend, daß Eddie eine ansehnliche Ladung Preiselbeersauce auf seinen Schoß kleckerte, während Hannah ziemlich kühl zu Ruth sagte: »Vielleicht hast du es deshalb noch nicht verkauft. Vielleicht solltest du mit dem Preis etwas runtergehen, Baby.«
Eddie hatte bereits die Hoffnung aufgegeben, daß das Haus je ihm gehören würde; auf alle Fälle hatte er den Gedanken aufgegeben, es mit Hannah zu teilen, die sich noch immer »zwischen zwei Freunden« befand, es aber trotzdem fertiggebracht hatte, sich das ganze Thanksgiving-Wochenende lang zurechtzumachen. (Ruth hatte bemerkt, daß Hannah sich in Harrys Gegenwart erhebliche Mühe gab, sich zurechtzumachen.)
Jetzt, wo Hannah wieder mehr auf ihr Äußeres achtete, ignorierte Eddie sie – daß sie hübsch war, bedeutete ihm wenig. Und Ruths unübersehbares Glück hatte Eddies ein Jahr währende Leidenschaft für sie gedämpft; er war zu seiner Liebe zu Marion zurückgekehrt, wo er hingehörte. Aber würde er sie jemals wiedersehen oder auch nur von ihr hören? Es war etwa zwei Monate her, seit er ihr seine Bücher geschickt hatte. Er hatte die Hoffnung aufgegeben, genau wie Ruth.
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