Wizards of Nevermore Bd. 1 - Eine Hexe in Nevermore
großen Häuser. Viele kleine Städte wie Nevermore schlossen sich jedoch oft von sich aus einem bestimmten Haus an, um von dort finanzielle Mittel und Schutz zu erhalten. Jede Stadt, die sich in der Obhut eines Zauberers befand, musste die Gesetze des gewählten Hüters befolgen.
Nevermore war eine Drachen-Stadt, und seit dem ersten Tag waren die Calhouns die Hüter der Stadt. Gray war es egal, wie es ihr erging. Wahrscheinlich würde er auch nicht einschreiten, falls der Sheriff befand, sie müsste erst einmal in Quarantäne.
»Ich habe nicht vor zu bleiben«, sagte sie daher schnell. »Ich bin nur auf der Durchreise.« Achselzuckend fuhr sie fort: »Ich habe einen alten Freund besucht, Gray Calhoun.«
Der Sheriff hatte hellgrüne Augen, heller als ihre, und jetzt sah er sie misstrauisch an. »Sie kennen Gray?«
Sie hatte eigentlich gehofft, die Erwähnung von Grays Namen würde ihr das Misstrauen des Sheriffs ersparen. Im Gegenteil. Jetzt war sein Interesse offensichtlich erst recht geweckt.
Die Zunge schien in ihrem Mund festzukleben. Natürlich. Als hätte sie vor, jedem auf die Nase zu binden, dass sie nach Texas gekommen war, um ihren Exschwager um Schutz anzuflehen – den Mann, den ihre Schwester vor über einem Jahrzehnt umgebracht hatte. Und sie hatte auch ganz bestimmt nicht vor zu verraten, dass sie eine Rackmore war. Es war ohnehin schon so, dass seit der großen Abrechnung jeder ein Mitglied der Rackmores zu kennen schien, dem er ein Unheil verdankte.
»Lass gut sein, Mooreland. Du erschreckst mir die Kleine ja zu Tode«, sagte Ember, die in diesem Moment zurückkam. Die Tasche hatte sie nicht mehr bei sich. Lucinda wollte der Frau so gerne vertrauen, doch die Tatsache, dass sie ihre wenigen Besitztümer nicht mehr im Blick hatte, verursachte ihr ein unangenehmes Gefühl. Sie besaß nicht mehr viel, und was sie hatte, wollte sie nicht auch noch verlieren.
Mooreland setzte eine sture Miene auf. »Ich will nur keinen Ärger haben.«
»Dann hör auf, welchen zu machen. Mein Laden ist neutrales Territorium. Du hast hier nichts zu sagen. Trink deinen Tee und meditier darüber, wie du deine sozialen Fähigkeiten verbessern kannst.«
Mooreland senkte den Blick auf die dampfende Tasse, die vor ihm auf dem Tresen stand. Er warf Lucinda einen Blick zu, der besagte: Mit dir bin ich noch nicht fertig, Schätzchen. Ab dann ignorierte er sie. Lucinda war überrascht, dass er Ember nicht widersprochen hatte. Andererseits konnte sie ihn ja auch einfach hinauswerfen. Sie konnte als Einzige bestimmen, was auf neutralem Territorium zu passieren hatte.
»Komm schon.« Ember nahm Lucinda bei der Hand und zog sie hinter sich her, vorbei an einer Reihe von niedrigen Tischchen und einer kleinen Bühne mit lilafarbenen und silbernen Vorhängen. Dann schob Ember sie in eine der hinteren Nischen, wo sie vor neugierigen Blicken verborgen waren. »Zieh erst mal den nassen Mantel aus. Ich werfe ihn schnell in den Trockner.«
»Sie haben hier einen Trockner?«
»Ich wohne über dem Laden«, erklärte Ember. »Mein Mann Rilton und ich haben das Haus vor ein paar Monaten erstanden.«
»Sind Sie neu hier?«, wollte Lucinda wissen. »Sind die Leute denn nett zu Ihnen?«
»Ich bin nicht hierhergekommen, um nette Menschen kennenzulernen. Ich bin hier, weil ich hier sein soll. Wir haben alle unsere Bestimmung, Kleine, und meine ist es nun mal, hier zu sein.« Jetzt klang Embers Akzent sehr ausgeprägt.
»Ist das wirklich neutrales Territorium?«, wollte Lucinda wissen, während sie dankbar in die Nische schlüpfte, wo sie auch ihre Tasche entdeckte. Sie wollte sich am liebsten darauflegen und einfach schlafen, aber die Tasche war nass und verbeult und schmutzig. So erschöpft war sie nicht, dass ihr das entging.
»Wer hierher kommt, ist sicher.« Ember hängte sich den nassen Mantel über den Arm. »Ich bringe dir gleich was zum Drüberziehen.«
»Warten Sie.« Lucinda öffnete einen Reißverschluss an ihrer Tasche und fasste hinein. Ihre Finger stießen durch ein Loch, das vorher nicht da gewesen war. Die vier Dollar und elf Cent, die sie noch gehabt hatte, waren weg.
Das war eigentlich zu erwarten gewesen, dennoch traf sie der Verlust schwer. »Ich habe kein Geld.«
»Du hast wohl insgesamt nicht viel«, stellte Ember fest. »Mach dir keine Sorge wegen dem Bezahlen.«
»Gibt es hier keine Speisekarte?«, wollte Lucinda wissen und fragte sich im selben Moment, was diese Frage überhaupt sollte.
Ember lachte. »Wozu
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