Wizards of Nevermore Bd. 1 - Eine Hexe in Nevermore
feinen Ring an. »Ich nehme deine Gabe an.«
Plötzlich bekam er Angst, dass das hier mehr war, als es sein sollte, und trotzdem perfekt. Diese und alle anderen Emotionen konnte er nicht anders zum Ausdruck bringen als durch einen zärtlichen Kuss.
»Dann muss ich diesen Satz ja nicht mehr sagen«, meinte Taylor trocken.
Ember schniefte. »Halt die Klappe, du Idiot.«
Lucinda saß am Küchentisch und war das reinste Nervenbündel. Sie hasste es, so kraftlos zu sein. Doch seit der großen Abrechnung hatte sie sich eigentlich nur noch so gefühlt. Gehetzt. Bedroht von der Dunkelheit. Als könnte sie nirgendwohin gehen, ohne gleich in eine Grube voller Dornen zu fallen.
Sie war so hilflos.
Schwach.
Dumm.
Aber jetzt? Oh Göttin. Ich habe Gray geheiratet.
Vor ein paar Minuten hatte Ember sie so fest umarmt, dass ihre Wirbelsäule knackte, und ihr einen dicken Schmatz auf die Wange gedrückt. Taylor war wesentlich zurückhaltender gewesen, mit seinem kräftigen Händedruck und einem »Viel Glück euch beiden«.
Wahrscheinlich war der Sheriff immer noch sauer auf Gray. Taylor hatte versucht, Lucinda zum Fall Marcy zu befragen, doch ihr neuer Ehemann hatte es unterbunden. Sie versprach aber, seine Fragen am nächsten Tag zu beantworten. Dann brachte Gray den Sheriff und Ember zur Tür.
Nachdem Ember gegangen war, hörte sie, wie Gray Taylor bat, noch einen Moment zu warten, dann polterten seine Schritte auf der Treppe nach oben. Als er wieder herunterkam, verließen beide das Haus. Worüber sie wohl sprachen? Über sie?
Ängstlich verschränkte sie ihre Finger ineinander. Und wenn schon, was spielte es schon für eine Rolle? Sie hatte Zuflucht gefunden, wenn auch nicht in Mexiko. Aber als Grays Ehefrau musste sie wenigstens nicht mehr immer mit diesem Blick über die Schulter leben. Bernard würde es sich zweimal überlegen, sich mit Gray persönlich anzulegen.
Aber ganz sicher würde er einen Weg finden, um an sie heranzukommen.
Wie immer.
»Alles in Ordnung?« Kurze Zeit später stand Gray in der Tür und betrachtete Lucinda. »Was für eine dumme Frage, entschuldige. Ember hat dir einen besonderen Tee zubereitet. Ich gieß dir was ein, okay?« Er ging hinüber zum Herd, und erst da bemerkte sie die Teekanne auf der vorderen Herdplatte. Gray öffnete sämtliche Schränke. Sie waren entweder leer oder mit allem möglichen Zeug vollgestopft, das überhaupt nicht in die Küche gehörte. »Ich muss nur erst eine Tasse finden.«
Es war bemerkenswert, dass er in diesem Haushalt überhaupt etwas fand. In jedem Zimmer herrschte Chaos, von oben bis unten. Das vordere Zimmer bestand aus wuchtigen, klobigen Möbelstücken, auf denen sich Klamotten, Bücher und Kisten stapelten. Tische und Fußboden waren komplett vollgestellt. Überall hingen Spinnweben, und alles war verstaubt – inklusive der Familienbilder, Spiegel und Uhren.
Was machte Gray bloß den ganzen Tag? Warum konnte er nicht einmal ein bisschen Ordnung halten? Vielleicht war er als Hüter so viel beschäftigt, dass er keine Zeit zum Aufräumen hatte. Sie sah sich in der Küche um und verzog unwillkürlich das Gesicht. In und neben der Spüle stapelte sich schmutziges Geschirr. Bücher mit Zauberformeln, Kristalle und Schalen mit Gewürzen und Kräutern standen überall herum. Der Herd müsste mal gründlich geschrubbt werden. Ihr grauste es bei dem Gedanken, wie wohl der Backofen aussah.
In diesem Moment wusste Lucinda, wie sie Gray helfen konnte: Sie würde sein Haus in Ordnung bringen. So etwas tat doch eine Ehefrau, oder nicht? Zwar hatte sie keine große Erfahrung mit Hausarbeit, denn auch als Kind hatte sie zu Hause nicht helfen müssen. Ihre Mutter hatte einen Spüllappen nicht von einem Staubtuch unterscheiden können, und nachdem sie gestorben war, war Lucinda vor allem mit Überleben beschäftigt gewesen. Sie hatte nie lange genug an einem Ort gelebt, um sich über Sauberkeit Gedanken zu machen. Als Bernards Geliebte musste sie sowieso keinen Finger rühren, auch nicht, als sie in den Penthouse-Harem zurückgestuft wurde. Aber so schwer konnte Saubermachen und Aufräumen doch nicht sein, oder?
Natürlich war sie auch keine große Köchin, aber einfache Rezepte wie Lasagne oder Eintopf bekam sie hin. Sie war fest entschlossen, eine gute Hausfrau zu werden. Das war allemal besser, als sich jeden Tag aufs Neue überlegen zu müssen, wie sie an etwas zu essen kam, wo sie übernachten sollte und was sie alles bedenken musste, um Bernards
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