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Wladimir - die ganze Wahrheit über Putin

Wladimir - die ganze Wahrheit über Putin

Titel: Wladimir - die ganze Wahrheit über Putin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Belkowski
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Europa zu Gesicht – im breiten, globalen Sinne des Wortes. Und wer Glück hatte, begriff über Europa die drei wichtigsten, unabdingbaren Tatsachen:
• Eine real funktionierende Demokratie ist möglich, sie macht aus dem Menschen einen Bürger und muss nicht unbedingt in Chaos und Zerstörung enden.
• Ein Mensch kann sich nur dann achten, wenn er sich selbst für einen Bürger hält und der Staat und die Gesellschaft es ebenso tun.
• Die grundlegende europäische Idee besteht in der Banalität des Guten. Um ein Gefühl der eigenen Würde zu entwickeln, muss man nicht unbedingt Heldentaten vollbringen und sich selbst ans Kreuz schlagen; es ist vollkommen ausreichend (und unabdingbar), sich um seine Kinder zu kümmern, rechtzeitig Steuern zu zahlen und den Müll zu trennen, die Verkehrsregeln und auch sonst alle Gesetze zu beachten, und zwar deshalb, weil man es für unabdingbar hält, und nicht, weil man bei einer Übertretung hart bestraft wird.
    Letztere These war den Russen immer besonders schwer zugänglich. Nicht umsonst sagte der bekannte Denker Konstantin Leontjew, dass der Russe zwar ein Heiliger sein kann, aber dabei nicht redlich sein muss. Damit entstand ein qualitativ neuer Stand, den es kurz zuvor noch nicht gegeben hatte. Oft nennt man ihn den »zornigen Bürger«, aber ich würde einen soziologisch genaueren Begriff vorziehen: der Russische Bildungsbürger (RuBiBü).
    Alle drei Wörter sind hier gleichermaßen wichtig.
    Russisch – das heißt, sich der russischen Kultur zugehörig fühlend und das Russische als Muttersprache betrachtend, unabhängig von der ethnischen Herkunft: Zu den Russischen Bildungsbürgern kann man sowohl Juden als auch Georgier oder Aserbaidschaner zählen. Wichtig ist nur, dass das Russische Bildungsbürgertum den Mainstream bildet und keine Diaspora.
    Bildung – sie verfügen über eine humanistische Bildung in dem Umfang, der in der sowjetischen Bildungstradition angelegt ist, darunter auch durch Autodidaktik, die in der russischen Gesellschaft schon immer eine besondere Bedeutung hatte. Die Nachfrage nach Bildung als höchster Ausdruck der europäischen Moderne war im sowjetischen Totalitarismus besonders groß, und zwar unabhängig davon, inwieweit die Sowjetmacht selbst bereit war, für das Bildungsniveau zu garantieren.
    Bürger – das ist überhaupt das Schlüsselwort. Aus der europäischen Geschichte wissen wir, dass die Stadt als Zentrum sowohl der Entstehung als auch der Existenz eines Phänomens gilt, das wir als »bürgerliche Gesellschaft« kennen. Auf dem Dorf, wo die Zeit nicht nach Stunden, sondern nach dem Sonnenstand gemessen wird, kann es keine bürgerliche Gesellschaft geben.
    Die Städte waren die Entstehungsorte des modernen Kapitalismus im ursprünglichen Sinn des Wortes. Entgegen der weit verbreiteten und allgemein bekannten Theorie von Max Weber bestand die Zauberquelle des Kapitalismus weniger in der protestantischen Ethik, die sich über alles ergoss, als vielmehr in der Wiedergeburt der italienischen Stadtstaaten (Florenz, Venedig, Mantua und andere). Die Stadt verhält sich zum Imperium primär und ist einerseits sein Antagonist und andererseits sein Prototyp und Vorläufer. Nicht umsonst wurden alle »alten« Imperien nach den Städten benannt, die sie hervorgebracht hatten (Römisches Reich, Byzantinisches Reich und so weiter).
    Auch wir waren bis zu einem bestimmten Zeitpunkt zunächst die Kiewer Rus und dann eher Moskowien als Russland (und die Russen waren Moskowiter). Erst mit dem Zerfall des »ersten Kreises« der Imperien tauchte der Begriff »Land« auf, der seinem Sinn und Wesen nach »Außenbezirk«, »Provinz«, »Dorf« bedeutet. Das lässt sich ebenso leicht in den europäischen Sprachen nachvollziehen: country, pays, paese sind gleichzeitig »Land« wie auch »Dorf, ländliche Gegend«.
    Zwei russische Modernisierungsbewegungen – die von Peter dem Großen und die der Kommunisten – begünstigten die Urbanisierung, wenn auch in verzerrter Form (eine unverhältnismäßig große Rolle und Aufmerksamkeit wurde den Hauptstädten zuteil, was zulasten einer infrastrukturellen Entwicklung anderer Städte ging). Die Sowjetmacht schaufelte Russland als Bauernland endgültig das Grab: Viele Millionen Menschen zogen aus den Dörfern in die Städte, es entstand eine große Anzahl städtischer Siedlungen. Während sich die Revolution von 1917 in einem Agrarland vollzog, waren es in der späten UdSSR bereits die klassischen

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