Wladimir - die ganze Wahrheit über Putin
Schulbücher eingegangen ist, war nur ein Ablenkungsmanöver. Es ist durchaus möglich, dass die am Leben gebliebenen Bosse des Jelzin-Stabs (Beresowski hat im März 2013 bekanntlich Selbstmord begangen) das nicht so sehen. Das ist auch verständlich: Ein Mensch wird nicht selten zur Geisel und zum Opfer der eigenen Propaganda, und die aufgesetzte Maske kann in diesen Fällen mit dem Gesicht verwachsen.
Kremlnahe Soziologen haben mir gegenüber in informellen Gesprächen zugegeben, dass im ersten Gang der Präsidentenwahlen 1996 Sjuganow Jelzin um 6 bis 7 Prozent überlegen war. (Nach offiziellen Angaben lag er um 3 Prozent hinter ihm: 32 gegen 35 Prozent.) Daher stammt auch der Mythos vom sogenannten »roten Gürtel«, einer Reihe von russischen Regionen, die für die Kommunisten gestimmt haben. In Wirklichkeit ist der »rote Gürtel« soziologische Fiktion und ein Bluff.
Zu dem nicht existierenden »Gürtel« zählte man einfach jene Subjekte der Russischen Föderation, deren Regionalregierungen keine Fälschungen zu Jelzins Gunsten zugelassen hatten. Deswegen gewann Sjuganow dort vollkommen ehrlich, während außerhalb des »roten Gürtels« Jelzin – unter Anwendung äußerst eigenartiger Methoden – den Sieg davontrug. Bemerkenswerterweise stimmte bei den Präsidentschaftswahlen 2000 der »rote Gürtel« im Wesentlichen nicht für den Kommunistenführer, sondern für Wladimir Putin, womit dieses allgemein verbreitete Geschwätz widerlegt ist und sich der berüchtigte »Gürtel« als Fiktion entpuppt.
Es versteht sich von selbst, dass auch Gennadi Sjuganow davon wusste. Aber er kämpfte nicht um seinen Sieg. Er zog es vor zu schweigen. Am 4. Juli 1996 gratulierte er nach der Verkündung der vorläufigen Ergebnisse dieser zweifelhaften Wahl Boris Jelzin eilig zum Sieg. Versuche, die von der Zentralen Wahlkommission der Russischen Föderation verkündeten Wahlergebnisse bei Gericht anzufechten oder das Volk auf die Straße zu bringen (wie es später im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts die Anführer der »Blumenrevolutionen« im postsowjetischen Raum taten), wurden nicht unternommen.
Sjuganow kam zu dem Schluss, dass er keine Macht brauche und dass es für ihn günstiger sei, der ewige Oppositionelle zu bleiben, den man nicht an die Regierungsspitze lasse, und dafür im Gegenzug vom Kreml politisch ausreichend versorgt zu werden – mit einem riesigen, mehr als 120 Quadratmeter großen Arbeitszimmer in der Staatsduma gegenüber vom Kreml, einem Audi A8 nebst Polizeieskorte und einer staatlichen Datscha im besten, ökologisch sauberen Randgebiet von Moskau. Dabei musste er für nichts Verantwortung tragen.
Damals kam auch der informelle Slogan der Kommunistischen Partei auf, der mit der Zeit zur Schattendevise aller russischen Oppositionellen wurde: Wir kommen unbedingt an die Macht, wenn sie uns Zutritt gewährt. Ich bin ein wenig stolz darauf, dass ich es war, der auf diesen Slogan gekommen ist.
Nach 1996 spielte die Fraktion der Kommunistischen Partei ungeachtet ihrer radikalen, regierungsfeindlichen Rhetorik in der Staatsduma dem Kreml in allen Themen von vorrangigem Interesse immer elegant und geübt zu. Die Kommunisten sorgten stets für die nötige Stimmenzahl für den von Boris Jelzin eingebrachten Ministerpräsidenten – sei es der brutale sowjetische Wirtschaftsfunktionär und Vater von Gazprom Viktor Tschernomyrdin oder der kleine »Chicagoer Junge« Sergei Kirijenko, den man wegen seiner Körpermaße und seiner unvorhergesehenen Kandidatur für den hohen staatlichen Posten 1998 »Überraschungsei« nannte.
1999 taten die Kommunisten alles – sei es, indem ein Teil ihrer Abgeordneten sich krank meldete oder ungültige Stimmen abgab –, um ein Amtsenthebungsverfahren gegen Boris Jelzin zu verhindern, obwohl sie diese Prozedur als eins ihrer wichtigsten politischen Ziele verkündet hatten, das den Hoffnungen und Wünschen der Wähler entsprach. Und unter Wladimir Putin stimmte die KP der Russischen Föderation immer nur dann mit Nein, wenn von ihren Stimmen nichts abhing. Kam es dagegen auf etwas an, lieferte sie zuverlässig die nötigen Ja-Stimmen (auch wenn es aufgrund des geringen Gewichts der kommunistischen Fraktion innerhalb der Verteilung im Parlament nicht viele waren).
Entsprechend dieser Logik agierte auch die 1993 gegründete und ebenfalls außerhalb von Russland bekannte Partei Jabloko unter ihrem Chef Grigori Jawlinski. Ja, innerhalb der Partei gab und gibt es echte
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